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Das Hinterzimmer als Schutzraum

■ Zu Gast bei der „Kaderpartei“ / SPD-Kreis Nord kämpft gegen Kungel-Image Von Uli Exner

Macht schon neugierig: Wenn der Hamburger SPD-Chef einen SPD-Kreis als „Kaderpartei“ bezeichnet. Als Vorzeige-Organisation zur direkten Erzeugung von Politikverdrossenheit sozusagen.

Macht erst recht neugierig: Wenn sich dieser zum Parade-Filzklub erhobene Parteikreis im Hinterzimmer eines Ochsenzoller Hotels trifft.

Es gibt kein Halten mehr: Wenn der Vorsitzende dieser angeblichen Mauschelfabrik den taz-Reporter vorab telefonisch wie folgt abfertigt: „Weil Sie so schreiben, wie sie schreiben, wird das Interesse, daß Sie dabei, sind nicht allzu groß sein.“ Also: Schienbeinschützer festgezurrt und ab zur Kreisdelegiertenversammlung des SPD-Kreises Nord, Donnerstagabend, Ochsenzoll, Hotel Tomfort.

Detlef Scheele müht sich redlich. „Weil wir öffentlichen Anfeindungen ausgesetzt sind“, läßt der Kreischef seinen Vorstandsbericht Vorstandsbericht sein (“der liegt Euch ja schriftlich vor“) und referiert statt dessen „über die Situation der Partei und die innerparteiliche Demokratie“.

Die SPD in Hamburgs Norden eine Kaderpartei? Nein, da hat sich Parteichef Helmuth Frahm bei seiner Rücktritts-Abrechnung doch erheblich vertan. Sagt Scheele: „Es gibt in Nord kein kleines Gremium, das die eigentlichen Entscheidungen trifft.“ I wo. Ganz im Gegenteil. Minderheitenschutz, Generationswechsel im Vorstand als Anti-Verkrustungs-Paste, Trennung von Parteiamt und Mandat in den allermeisten Fällen, Bürgernähe vor Ort, Diskussion mit Bürgern und Organisationen. Mit Amnesty international oder dem HVV. „Das lag mir am Herzen“. Der Norden als Vorbild. So sieht's aus.

Widerspruch? Vereinzelt. Die krittelnde Minderheit offenbart sich an diesem Abend als Klaus-Dieter Schweltscher-Fink. Auftritt, nicht gerade im Revoluzzer-Look. Protestpotential steckt heutzutage eher im Haspa-Dress. Die Wortwahl nicht ganz so dezent: Scheele leide offenbar unter „bedenklichem Verlust an Realitätssinn“, übe sich in „demokratischem Getue“ und unterschlage in seinem Bericht zur Situation der Partei die Kungelrunden. Oder wie war das mit der Nominierung von Ex-Senator Wolfgang Curilla als möglichem Bundestagskandidaten?

Sollte an dieser Stelle der Eindruck entstehen, die gut 100 Kreisdelegierten hätten den Tanzsaal des Hotels Tomfort vor lauter Diskutierfreudigkeit geradezu zum Kochen gebracht: Er trügt. Wie beim Fußballgucken. Ausschnitte machen den größten Langeweiler zum Spitzenspiel. Bemühen wir also die Zeitlupe.

Scheele zum zweiten: Zur Rechtfertigung für die Nominierung Curillas: Lange gesucht, besonders nach einer Frau, keine gefunden, plötzlich, „liebe Genossinnen und Genossen, nach der Senatsbildung war der Kandidat da“. Sollte man da Nein sagen? Und: „Ich habe ja nicht gesagt, Thea Bock soll zurückziehen“.

Scheele zum dritten: Zur Funktion des Hinterzimmers in der SPD. Sie schützen davor, „daß jemand öffentlich zerredet wird“. Ein parteiinterner Schutzraum sozusagen, den betreten sollte, wer ein politisches Amt anstrebt, aber sich nicht traut, es auch laut zu sagen. Man könnte ja scheitern. Ein Biotop für politische Hasenfüße also, aber eins mit Tradition, wie Scheele zu berichten weiß: „Das hat es schon immer gegeben, daß Mitglieder, die sich näher kennen, daß die sich treffen.“ Kleines sozialdemokratisches Einmaleins: „Es gibt einen Övelgönner-Kreis, es gibt ein Keller-Parlament. Das weiß doch jeder in dieser Stadt!!“.

Nachtrag 1, für den Fall, daß sich Scheele irrt: Övelgönne kungelt links, Keller kungelt rechts.

Nachtrag 2: Mit 90 von 103 abgegebenen Stimmen wird Detlef Scheele in seinem Amt als Kreisvorsitzender bestätigt.

Nachtrag 3: Die Schienbeinschützer wurden nicht benötigt. Dank.

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