: Von den blauen Bergen kommen wir
■ Mit 2000 Buam und Dirndln auf dem 60. „Alpenfest“ in der Stadthalle: Eine Reportage aus der Tiefe der Nacht
Dreißig Meter breit lacht uns das Gebirge, zehn Meter hoch, eine riesenmäßige lichtdurchschwemmte Lüftlmalerei mit Almhütte, Gletschern und Wasserfall, entstanden für 18.000 Mark in den Werkstätten des Bremer Theaters, davor die vielköpfige „Blaskapelle Oyten e.V.“, drunten im Saal die zechenden, tanzenden Massen, 2000 Älpler aus Bremen und umzu in hunderterlei Jankern, Dirndlkombis und Krachledernen, in Wadlstutzen und rotweiß karierten Karstadthemden: Der hiesige Alpenverein hat wieder einmal rein gar nichts ausgelassen.
Schon zum 60. Mal feiert unsere bremische Sektion ihr enormes „Alpenfest“ in der Stadthalle, und es ist, wie es ist und war und sein wird immerdar: Die Kleiderordnung fordert unbeugsam sowas wie Senn und Sennerin, Weiberleut in Hosen kämen nicht lebend über die Schwelle, und selbst die Ordner tragen grüne „Bergwacht“-Binden, auf daß sie umso machtvoller auflodere, die alte Hüttenabendseligkeit.
„Anders hätten wir nie soviele Leute“, behauptet Karl-Joachim Quantmeyer, ein kleiner gemsenzäher Herr, und schreit fast wegen all des Lärms. Quantmeyer, ein fanatischer Kraxler von Kind an, sitzt seit fast zehn Jahren der AV-Sek-tion Bremen vor und muß es also wissen. Andere Sektionen, sagt er, und man versteht ihn kaum, weil im Saale die „Blaskapelle Oyten e.V.“ schwerstens auftrumpft, während hier draußen im Foyer Heinz Nawraths „Magic“-Disco zuhauf die Jüngeren niedermacht, andere Sektionen sehen die Sache lockerer, sagt Quantmeyer, und dann gehen sie hin und machen Alpenfeste mit „ein paar hundert Leuten“.
Nein, das ist gar kein Vergleich. Keine andere Sektion hält am Kleiderzwang fest, keine andere Sektion hat ein derart fulminantes Alpenfest. 2000 Leute! Da sind selbst die Münchner fassungslos, sagt Quantmeyer. „Die sagen dann immer: Wie ihr das nur hinkriegt mit eurer Sturheit.“ Ja, grad wegen der Sturheit, sagt Quantmeyer.
Man wird aber das Geheimnis der Bremer Sektion letztlich nicht entzaubern können. Zumal es verschwistert ist mit einem noch viel umwölkteren, ja mit dem Zentralgeheimnis des ganzen hiesigen Alpinismus. Man frage einen beliebigen Menschen nach dem bremischen Alpenverein, und es wird einem auf der Stelle zugeraunt, diese Sektion sei ja unerforschlicherweise die größte in ganz Deutschland! In ganz Norddeutschland auf alle Fälle! „Wir wissen ja selber nicht, woher das kommt“, sagt Herr Quantmeyer, „es ist aber falsch, und es war schon immer falsch!“
Die Wahrheit ist, daß der Sektion Bremen zur Stunde 4168 Mitglieder angehören, was guter Durchschnitt ist, aber natürlich ein Klacks, verglichen mit den 75.000 allein in München, allwelche dort gleich 28 Sektionen in Betrieb halten. Aber so ein Alpenfest, so ein versehrend passioniertes Berglertum kriegen die Süddeutschen dann doch nicht hin. Dazu braucht's schon die Ferne. Die bremische Sektion hatte lange Zeit sogar eine eigene Schuhplattlergruppe; mehr muß man nicht sagen.
Die Plattler haben aber dann doch aufgegeben, alles was recht ist; dafür sind jetzt die „Burgglöckler“ aus Fischen i. Allg. eingeladen worden. Kurz vor Mitternacht legen sie einen sakramentischen Watschenplattler hin, dann setzen sie sich wieder an ihren Tisch am Rand und schauen mit Wehsal übers Treiben hin wie vermutlich alle Komantschen dieses schlechten Planeten.
Was soll man auch machen, wenn die Sieger der Geschichte ihre Gelage geben! Es sei schon eine rechte „Trachtenschändung“, sagt der Georg Larsch, „die roten Strümpf und das ganze Zeug“, aber das seien halt die „Bergkameraden“, da sei's am Ende schon recht. Außerdem hat er vorsorglich stapelweise Prospekte von Fischen i. Allg. mitgebracht, kann ja sein, daß einer noch nicht weiß wohin.
Und sie haben sich schon auch Mühe gegeben, die Bergkameraden: Allüberall die festlichste Draperie, rings an den Stadthallenwänden Panoramabilder noch und noch; in der Vorhalle, wo Heinz „Magic“ Nawraths Disco tost, ist gar ein vierarmiger Dorfbrunnen aufgebaut, und wer sich die Ohren zuhält, hört ihn gluckern.
„Alles ehrenamtlich!“ sagt Hilde Seiler vom Festausschuß. Gar so dicke hat's der Verein ja auch wieder nicht. Gut 200.000 Mark nimmt unsere Sektion ein im Jahr, davon geht fast die Hälfte an die Zentrale, und vom Rest wollen auch noch drei Hütten unterhalten werden, deren eine, die „Bremer Hütte“, gerade ein kleines Wasserkraftwerk kriegt für 400.000 Mark, daß Gott erbarm.
Aber wenn's ums Feiern geht, finden die Leute ihr Glück ja ohnehin eher in den kleinen Dingen: „Bleiben Sie unbedingt bis Mitternacht!“ hat Frau Seiler geraten. „Die meisten kommen doch nur wegen des Mondes!“
Und wirklich, Glock zwölf hocken alle an ihren Tischen und zu hunderten auf der Tanzfläche und starren mit Andacht nach oben zum Stadthallendach, „Mondnacht auf dem Gipfel“, steht auf dem Programmzettel, und wirklich, da kommt ein kleiner Pappendeckelmond zum Vorschein und ruckelt am Seile in aller rührenden Nichtigkeit von einer Seite zur anderen, während von unten molto agitato aus allen Kehlen das dafür vorgesehene Lied erbraust: „Guter Mond, du gehst so stille!“ singen die Menschenskinder, bis in tausenden von Papierschnipseln der Schnee niederfällt und alles zu spät ist. „Naja“, sagt Hilde Seiler, „wir sind ja nicht umsonst mit die größte Sektion geworden!“ Da haben wir's wieder, das Zentralgeheimnis.
Manfred Dworschak
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