■ „Bild“-Boenisch konzipiert Kohls Wahlkampf: Des Kanzlers Platitüdenkaiser
Während Generalsekretäre und andere Spitzenkader der Parteien derzeit unermüdlich einen fairen Wahlkampf verlangen (statt ihn selbst zu führen), erging sich Bild vorgestern in tiefer Sorge um nichts Geringeres als die Wahrheit. „Das Wort ,schmutziger Wahlkampf‘“, klagte das Springer-Blatt, „wird zum Totschlags-Argument, soll einschüchtern, den offenen Schlagabtausch verhindern oder mindern. Wahrheit erstickt unter dem Sofakissen.“ Wen bei der Vorstellung von der in tiefer Agonie auf dem Diwan nach Luft schnappenden Wahrheit selbst die Atemnot peinigt, dem kann jetzt eine Nachricht aus dem Kanzleramt Linderung verschaffen: Der ehemalige Bild- Chefredakteur Peter Boenisch soll als „Sonderberater“ dem Wahlkampf des tönernen Kolosses aus Oggersheim den bitter nötigen Drive geben. Kohl traut seinem Generalsekretär Hintze in puncto Durchschlagskraft offenbar weniger zu als dem notorischen Bild-Schmierer Boenisch. In jedem Fall hat Kohl für einen kurzen Draht zwischen dem Kanzleramt und den Springer-Zeitungen im Wahljahr gesorgt.
Es ist leider nicht bekannt, welche Honorare Boenisch für seine Wahlkämpferei liquidieren wird, aktenkundig ist hingegen sein Zitat „Ich war schon immer teuer“. Wie teuer „Pepe“ der Daimler Benz AG war, fanden im Frühjahr 1985 Berliner Staatsanwälte heraus. Der Bild-Testfahrer Boenisch hatte von 1972 bis 1981 monatlich 12.500 Mark Beraterhonorar kassiert. Offenbar von einem unzügelbaren Erwerbstrieb beseelt, schob Boenisch diese Daimler-Schmiergelder am Fiskus vorbei in die Schweiz. Jeder gewöhnliche Geschäftsmann wäre für eine solche vorsätzliche und wiederholte Straftat direkt ins Gefängnis gewandert – nicht so Boenisch. Zwar mußte er als Regierungssprecher zurücktreten, doch die Steuerhinterziehung wurde flugs ohne öffentliche Verhandlung mit einem Strafbefehl ad acta gelegt.
Seiner Popularität in der CDU-Spitze tat dieses bedauerliche Mißgeschick keinen Abbruch; als Pepe im Mai 1992 seinen 65. Geburtstag feierte, kamen nicht nur Volker Rühe und Max Streibl, sondern auch der bayerische Umweltminister Peter Gauweiler mit Hubschraubern zum Gratulieren. Seit seinem Abschied als Regierungssprecher findet Boenisch in Bild und anderen Springer-Zeitungen wieder jene schlichten Worte, die Heinrich Böll einmal zu dem Urteil brachten: „Ein Platitüdenkaiser ersten Ranges, ein Demagoge mit fast dreißigjähriger Erfahrung im Plattschlagen von Problemen“. Wie er Wahlkämpfe führt, hat er schon als Bild-Chefredakteur vor über zwanzig Jahren demonstriert. Damals geißelte er Willy Brandt und seine Berater als Männer, „die ihren Haß gegen Industrie und Großkapital schon mit der Muttermilch gierig schlürften“. Nach solcherlei Wahrheiten dürstet das Wahlvolk. Michael Sontheimer
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