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Deutsche Klimapolitik im Süden gemacht

In Genf verhandeln über hundert Regierungen über eine Verschärfung der Klimakonvention  ■ Von Hermann-J. Tenhagen

Berlin (taz) – Premierminister Bekenibeu Paeniu fürchtet um seine Insel. Der Kleinstaat Tuvalu im Pazifischen Ozean gehe unter, wenn der Ausstoß des Treibhausgases Kohlendioxid nicht deutlich vermindert werde, klagt der Politiker. Die Industriestaaten müßten deshalb ihre Emissionen bis zum Jahr 2005 um 20 Prozent verringern, alles andere bedeute den „kulturellen Genozid“ für seine Landsleute. Schon heute erlebten sie „die höher werdende See, wie die Stürme unsere Strände verändern, das Meer in unsere Frischwasserreservoirs eindringt, unsere Saaten und Häuser zerstört“.

Die Delegierten der Industrie- und Entwicklungsländer, die in dieser Woche in Genf schon zum neunten Mal über eine neue internationale Klimapolitik beraten, wissen um die Probleme. Die Klimakonvention, die sie auf dem UNCED-Gipfel in Rio 1992 verabschiedet haben, die inzwischen von über 160 Staaten unterschrieben und von über 50 ratifiziert ist, reicht nicht aus, um Tuvalu vor dem Absaufen zu bewahren. Das räumen – diplomatisch verklausuliert – fast alle Regierungsvertreter auch ein.

Der zuständige griechische Diplomat etwa verkündete für sein Land und die EU: „Unser derzeitiges Wissen führt zu dem Schluß, daß die Klimakonvention nicht ausreicht.“ Auch aus den USA hört man, daß die Clinton-Administration inzwischen zu der Überzeugung gekommen ist, die bisherigen klimapolitischen Versprechen seien unzureichend. Die Deutschen fordern Verhandlungen über eine Verschärfung, und die Dänen haben sich die Forderung der Regierung von Tuvalu sogar schon zueigen gemacht.

Nur: Diese Erkenntnis hat auf die praktische Politik bislang keinen Einfluß. Schornsteine und Auspuffrohre pusten weiter, was das Zeug hält. Über 20 Milliarden Tonnen Kohlendioxid werden jährlich in die Atmosphäre entlassen. Skeptiker vermuten, daß sich dies auch nach den zweiwöchigen Verhandlungen in Genf nicht ändern wird. „Die Delegierten sitzen doch alle nur in den Löchern und warten darauf, daß sich ein Land rührt“, beschreibt Joy Hyvarinen vom „World Wide Fund for Nature“ (WWF) die Verhandlungen. Auch die bundesdeutschen VertreterInnen in Genf hatten noch vor den Verhandlungen den heimischen Umwelt- und Dritte- Welt-Initiativen zu verstehen gegeben, daß sie ihre Besorgnis wegen der klimapolitischen Untätigkeit zwar teilten, aber konkrete Ziele für eine drastische Verschärfung der Klimakonvention in Genf nicht vortragen werde. Die in genf vertretenen Umwelt- und Dritte- Welt-Soli-Gruppen hatten eine Verringerung des Kohlendioxid- Ausstoßes (CO2) um 20 Prozent in den Industriestaaten bis zum Jahr 2005 gefordert. Sie wiesen noch einmal darauf hin, daß das erklärte Ziel der Klima-Konvention – die notwendige Stabilisierung der Treibhausgase in der Atmosphäre – eine Verringerung solcher CO2- Emissionen um weltweit 60 Prozent verlange. Nur wenn der Westen das Modell für eine klimapolitisch tragfähige Entwicklung liefere, habe der Globus überhaupt eine Chance.

Vielleicht war es der falsche Ansprechpartner. Minister Klaus Töpfer (CDU) ist zwar in Genf zuständig, auch versucht er, am Kabinetts-Katzentisch die Reste des unzureichenden bundesdeutschen Klimaprogramms zusammenzuhalten. Zu fest aber scheint der Belagerungsring von seiten der Industrieverbände, des Wirtschaftsministeriums und des ehemaligen BASF-Angestellten Helmut Kohl gegen jede wirkungsvolle Klimapolitik gefügt. Die im Wirtschaftsministerium konzipierte Energiepolitik sei mit den klimapolitischen Zielen derselben Regierung schlicht unvereinbar, rechnete Christoph Bals von „Germanwatch“ kürzlich vor. Statt 25 Prozent Verminderung beim Kohlendioxid sei im Westen bis 2005 gerade ein Prozent zu erwarten.

Für die Staaten des Südens muß solch nördlicher Budenzauber makaber anmuten. Sie werden nicht zaghaft nach „global notwendigen“ Anpassungen gefragt, sie sind inzwischen an ultimativ vorgetragene IWF-Anpassungsprogramme gewöhnt. Sie leiden unter den klimatischen Folgen des ungebremsten Energieverbrauchs in den nördlichen Industriestaaten besonders – eines Nordens, der stöhnt, die Rezession lasse doch kein Geld mehr für Klimapolitik, also für Überlebensfragen, übrig.

Auch wenn man sich in Bonn bemüht, das derzeitige Treffen nicht zu hoch zu hängen: Besonders prekär wäre ein erneut konsequenzloser Konferenzzirkus in Genf für die Bundesregierung. Sie ist nämlich im April 1995 Gastgeberin der ersten großen Nachfolgekonferenz zu Rio in Berlin. „Wenn dort irgend etwas Positives passieren soll, müssen in Genf endlich Prozentzahlen für die Verringerung der Treibhausgase und Zeitvorgaben für die Erreichung dieser Ziele auf den Tisch“, fordert deshalb Peter Mucke von der Bonner „Projektstelle Umwelt und Entwicklung“. Wenn ein inhaltliches Desaster in Berlin vermieden werden solle, könne sich die deutsche Delegation nicht verstecken: „Die müssen endlich Dampf machen.“

Aber wie. Minister Töpfer hat die Losung ausgegeben: Wenn wir schon nicht vorwärts kommen, sollten wir zu Hause wenigstens keinen Boden preisgeben. Für uns muß reichen, wenn wir mit unserem fünf Jahre alten Beschluß, die Treibhausgase um 25 Prozent zu reduzieren, als Vorbild in die Berlin-Konferenz gehen. Und um ein diplomatisches Desaster zu vermeiden, „muß man die ganze Sache eben tiefer hängen“, sagt Töpfers Sprecher Martin Waldhaus. „Große Durchbrüche“ erwarte er von Genf jedenfalls nicht.

Hoffnungen auf Fortschritte macht sich das Umweltministerium allenfalls in einem Punkt. Die Bonner wollen mit einem neuen Vorschlag zur sogenannten „Joint Implementation“ reüssieren. Industriestaaten sollen sich die Verminderung von Kohlendioxidemissionen nach dem Jahr 2000 auch dann anrechnen lassen dürfen, wenn sie diese im Ausland, also beispielsweise an einem russischen oder indischen Kohlekraftwerk vorgenommen haben.

Bedingung allerdings: Diese Verminderung müßte über die schon in Rio versprochenen nationalen Anstrengungen hinausgehen. Joy Hyvarinen vom WWF hat beobachtet, daß diese Idee offenbar bei einigen Staaten Anklang findet. Und Töpfer hätte damit einen Einstieg in eine Verschärfung der Klimakonvention geschafft.

Die Staaten des Südens halten davon wenig. Daß sie jetzt auch noch für die Energieverschwender des Nordens ihre Emmissionen reduzieren sollten, wettern ihre Vertreter und werfen dem Norden „Öko-Kolonialismus“ vor. Für die deutschen Umwelt- und Entwicklungsorganisationen ist das Problem komplexer. „Das würde bedeuten, daß Entwicklungsländer die Emissionen einsparen, die hier eingespart werden müßten“, erklärt Peter Mucke. Und gleichzeitig weiß er: Wenn in der Klimapolitik in Berlin Fortschritte erzielt werden sollen, muß der Kanzler in die Bütt. Ob Kohl oder Scharping – nur wenn sich vorher Ergebnisse abzeichnen und wenn die Berliner Vertragsstaatenkonferenz genug Staatschefs anzieht, läßt sich verhindern, daß die Delegierten auch an der Spree nur heiße Luft abgesondern.

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