■ Die linke Kölner Kneipenszene und ein Karnevalsbrauch:
: Wenn der Nubbel im Feuer schmort

Köln (taz) –Das wäre eine absolute Premiere. Die Belegschaft der Kölner Kneipe „Wundertüte“ lädt für den Faschingsdienstag zu einer „Nubbelin-Verbrennung“. „Wir hatten eine Riesendiskussion darüber“, meint Rolf vom Stein, der Kneipenwirt, „aber nun ist die Sache entschieden.“ In den vergangenen Jahren war es nämlich nur ein „Er“, der Nubbel, der zum Karnevalsende in die Flammen geworfen wurde. Die ausgestopfte Strohpuppe – erst Maskottchen, dann Sündenbock – wird während der Faschingstage in den Kneipen, oder über den Eingangstüren aufgehängt und in der Nacht auf Aschermittwoch unter lautem Wehklagen feierlich verbrannt. War bis vor zehn Jahren der Karnevalsdienstag noch ein toter Tag, an dem nichts mehr los war, ist der Nubbel-Tod inzwischen zu einem prima Muntermacher für die letzten Stunden avanciert.

Das Spektakel zieht Hunderte an, auch viele Pappnasen-Verächter und alternative KarnevalistInnen, die für sich den Karneval mit Stunksitzung und Geisterzug wiederentdeckt haben. In der Südstadt pflegt ein evangelischer Pfarrer, eine Klobürste für den Segen in der Hand, die „Nubbel-Rede“ zu halten. Im vergangenen Jahr sangen die Alternativ-Jecken am Nubbel- Feuer noch das „Arsch huh“-Lied, das ein paar Monate zuvor, am 9. November 1992, BAP und Bläck Fööss, Zeltinger und Viva la Diva bei einem Konzert gegen Fremdenfeindlichkeit uraufgeführt hatten. Auch in Köln-Nippes gilt die Nubbel-Verbrennung als feurige Attraktion, wie beispielsweise vor dem „FEEZ“, einer Schwof- und Konzertkneipe, die gern von LehrerInnen und SozialpädagogInnen besucht wird. Das Motto der Aktion lautet: „Tod dem Zachaies!!“

Zachaies (Zachäus) und Nubbel sind VolkskundlerInnen alte Bekannte. Schon im späten Mittelalter taucht der Strohmann im Rheinland auf, bei Kirmes oder Kirchweihfest, später auch im Karneval. Die Puppe wird am Ende stets „umgebracht“: entweder begraben, verbrannt, oder aber auch ertränkt – wie zum Beispiel in Jülich, einem Städtchen zwischen Köln und Aachen. Dort pflegt die Festgemeinde mit dem Strohmann durch die Straßen zu ziehen, sie in einem Tuch aufzuwerfen, zu verhöhnen – und schließlich in die Rur zu werfen.

Der Abschied vom Karneval fiel Christen schon immer schwer. Der „letzte Akt der tollen Tage, das Fastnachtsverbrennen“, ist eines der Themen in Werner Mezgers Freiburger Habilitationsschrift (1991). Er glaubt, daß die mittelalterliche Rechtsauffassung für den Brauch ausschlaggebend war: demnach galt es alles „Gottferne, Ketzerische und Teuflische“ im Feuer zu vernichten. Der Volkskunde- Professor Dietz-Rüdiger Moser analysiert den Zachaies-Brauch und die Bibel-Geschichte, in der der jüdische Zöllner Zachäus nach Jesus Ausschau hält. Die Moral lautet nach Moser: „Man soll sich, wie Zacharias, von seinem Sündenleben lossagen und Christus zuwenden“.

Moser und Mezger berichten außerdem von einem Brauch, der der Nubbel-Verbrennung vorangegangen sein soll. Einem Brauch, zu dem nicht Puppen, sondern Menschen mißbraucht wurden. Von der Mitte des 15. bis zum 17. Jahrhundert zwangen die Päpste Mitglieder der jüdischen Gemeinden zu Wettläufen auf dem heutigen „Corso“, ließen sie bespotten und mit Steinen und Dreck bewerfen. Nicht nur die Juden, als Nichtchristen, sollen zu dem Wettlauf gezwungen sein, sondern auch Esel und Büffel.

„Mit Zurückführungen von Bräuchen sollte man allerdings vorsichtig sein“, warnt Heinke Jopp, wissenschaftliche Referentin beim „Amt für rheinische Landeskunde des Landschaftsverbandes Rheinland“ in Bonn. Die Volkskundlerin entgegnete, es sei keineswegs belegt, daß die Nubbel-Verbrennung ursprünglich ein antijüdischer Brauch gewesen sei. Bräuche würden während der Jahrhunderte schließlich gebrochen, sie wandeln sich mit den politischen und sozialen Veränderungen. Ein bißchen bigott findet sie die wiederbelebte Nubbel-Idee allerdings schon.

Robert Heyer vom „FEEZ“ hat kein Problem mit diesem Brauch. Für ihn hat er sich mehr oder weniger als populärer Gag verselbständigt. Die Nubbel-Verbrennung sei eben „ein Karnevalsbrauch, wie wenn die Funken durch die Straßen marschieren“. Verbindungen zu den Hexenverbrennungen drängen sich offenbar niemandem auf. Rolf vom Stein von der „Wundertüte“ befürwortet sogar die wundersame „Nubbelin-Verbrennung“.

Aus Gründen der Gleichberechtigung, versteht sich: „Wir nehmen feminine Anteile in den Karneval auf. Das richtet sich nicht gegen Frauen, sondern deren Sünden werden so schließlich auch verbrannt.“ Anna Neumann