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Eine gute Art, vierzig zu sein

■ Detektivfilm, Liebesfilm und ein Film über das Altern: „Pas très catholique“ von Tonie Marshall im Wettbewerb

Maxime (Anémone) arbeitet in einem Detektivbüro. Eines Morgens teilt der Chef ihr mit, daß einer ihrer Kollegen erschossen wurde. Maxime soll der Witwe die Nachricht überbringen. Deren Trauer ist nicht ganz so groß wie ihre Furcht vor dem Alleinsein, und auf ihre ersten Anzeichen von Selbstmitleid hin drückt Maxime ihr eine Schachtel Tabletten in die Hand und verabschiedet sich mit den Worten: „Leg dir einen Hund zu.“ Sie ist eine harte Frau, wenn man das Fehlen jeglicher Sentimentalität als Härte bezeichnen will. Vor 15 Jahren hat sie sich von ihrem Mann getrennt, einem reichen Immobilienmakler.

„Wenn man sich trennt, dann richtig“, sagt sie, und darum hat sie auch ihren Sohn nie wieder gesehen. Als sie ihn jetzt zufällig vor seiner Schule trifft, siezt sie ihn. Sie kann die Witwe nicht vor der Einsamkeit retten und nach 15 Jahren nicht plötzlich Mutter spielen. Maxime hat in ihrem Leben Prioritäten gesetzt, und das hat seinen Preis. Kein Grund zum Jammern. Es ist erstaunlich, wie selten Filmfiguren den Tatsachen ins Auge sehen, ohne in lähmende Depressionen zu verfallen. Tonie Marshall hat eine Detektivgeschichte gedreht, einen Liebesfilm und einen Film über das Altern. Das paßt zusammen, weil Dreh- und Angelpunkt eine Frau ist, die im Film ziemlich einmalig sein dürfte. Sie hat sich von ihrem Mann getrennt, weil sie ihn nicht liebte und, wenn sie schon keine glückliche Ehe führen konnte, dann partout ein selbstbestimmtes Leben führen wollte. Jetzt ist sie vierzig, hat ihre Arbeit als Detektivin und eine Wohnung, die mehr einer Behausung als einem Heim gleicht, und gelegentlich teilt sie ihre Nächte mit einem Mann oder einer Frau. Es gefällt ihr so. Ganz unpathetisch. Es wäre lächerlich zu fragen, ob sie glücklich ist. Glück ist ein Begriff aus der Werbung. Ihre Art zu leben ist die einzige ihr angemessene. Das ist mehr, als die meisten Leute für sich in Anspruch nehmen können.

Tatsachen können sich ändern. Maxime verliebt sich, und vielleicht verändert das ihr Leben. Wenn es ihr paßt. Eine gute Art, 40 zu sein. Anja Seeliger

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