: 2 Orangen, 1 Kiwi, 1 Salatkopf
Heidelberger BürgerInnen testen eine Woche lang den Paketfraß, den der Rhein-Neckar-Kreis seinen AsylbewerberInnen zumutet / Nicht alle halten die Magenqual durch ■ Aus Heidelberg Günter Rohrbacher-List
Der Kurde Ahmed Gündekin hat Pech. Er lebt in Eppelheim im Rhein-Neckar-Kreis und muß sich seit dem 1. Januar aus dem Paket ernähren. Seinem Feund Makan Sezgin (beide Namen geändert) aus dem Heidelberger Stadtteil Pfaffengrund, der nur einen knappen Kilometer weiter wohnt, wird beim Sozialamt (noch) Geld ausbezahlt. „Wir müssen aber nachziehen, sind gesetzlich dazu verpflichtet“, kündigt ein Vertreter der Stadtverwaltung vorsorglich und unmißverständlich an, daß auch in den Mauern Heidelbergs das Leben für AsylbewerberInnen demnächst härter werden wird. Denn das neue Asylbewerberleistungsgesetz schreibt vor, daß Asylsuchende, die noch kein Jahr in der BRD leben, ihren notwendigen Bedarf an Ernährung durch Sachleistungen decken müssen.
Diese Verschlechterung der Lebenssituation der Flüchtlinge rief das „Bündnis für Asyl und gleichberechtigte Zusammenarbeit“ auf den Plan. „Rückkauf von Menschenrechten“ nennen sie ihre Aktion, die noch bis Ende Februar geht und bei der HeidelbergerInnen den AsylbewerberInnen ihre Pakete abkaufen. Zwei Pakete gibt es pro Woche, zu 36 und zu 29 Mark. – Helga Lehndorf-Schaller, die Frau des grünen Umweltdezernenten, hat eines gekauft. „Ich hätte gerne richtig mitgemacht, aber ich lebe eigentlich gesund und ernährungsbewußt“, konnte sie nur den Kidney-Bohnen einen nennenswerten Nährwert attestieren. Eine steinharte Kiwi sei dringewesen und Phosphat-Schmelzkäse, in Folie verpackt. Die meisten Testesser beklagen den hohen Verpackungsaufwand und den daraus resultierenden Müll. „Fettarme H-Milch und Orangennektar im Tetra-Pak, dazu eine Blechdose mit Erbsen ohne jedes Vitamin. Also, mit 30 Mark kann man bedeutend mehr und besser einkaufen“, entrüstet sich Frau Lehndorf- Schaller und beklagt, daß Asylsuchenden das Kochen von Speisen aus ihrem Kulturkreis schlicht unmöglich gemacht werde.
Eine Einschätzung, die auch Sieglinde Haußecker vom Diakonischen Werk Heidelberg teilt. „Sie können auch keine Gäste mehr versorgen, wo doch gerade das Treffen mit Landsleuten einen so hohen Stellenwert hat und das gemeinsame Essen, das an die Heimat erinnert.“ Frau Haußecker weiß, daß AsylbewerberInnen gedroht worden ist: Wenn sie ihre Eßpakete weiterverkauften, „bekämen sie nächstes Mal kein Paket mehr und auch das Taschengeld werde gekürzt“.
Gleichzeitig beklagen die Initiatoren der Aktion den hohen bürokratischen Aufwand für die Beschaffung, Bestückung und Verteilung der Pakete, der allein in Baden-Württemberg um die 60 Millionen Mark betragen soll. Nutznießer ist in Heidelberg allein der gastronomische Megabetrieb Ehrenfried, der vorgibt, die Pakete „nach der Vorgabe der ,Deutschen Gesellschaft für Ernährung‘“ zu bestücken. Darüber kann Professor Dietrich Harth, ein Literaturwissenschaftler, nur den Kopf schütteln, während er den Inhalt des Pakets, das er gekauft hat, aufzählt: 1 Fabrikbrot, 1 Päckchen Reis, 1 Beutel Kartoffelbrei, 2 Orangen, 1 Kiwi, 1 Flasche Öl, 1 Salatkopf, 1 Stück Rinderleber, 1 Hähnchenschlegel, 1 Liter Orangennektar, der besagte Liter H- Milch und 3 Scheiben eingeschweißter Tilsiter. Keine Margarine oder Butter, weder Salz noch Zucker, keine Gewürze. „Man müßte sehr viel Brot essen, wenn man ausschließlich davon leben wollte“, beklagt Harth besonders den Mangel an Gemüse und sieht die Paketausgabe als „Schikane, um die AsylbewerberInnen aus Deutschland fernzuhalten“. „Entwürdigend“ findet es Mechthild Schlager, der es ein Rätsel ist, was man mit nur einem Liter Milch und 1 Kilo Mehl, 3 Päckchen Pudding und 1 Pfund Weichweizengrieß anfangen soll. „Ich möchte überhaupt mal wissen, was jemand aus Sri Lanka mit dem Zeug macht. Das läuft doch alles nach dem Motto: Die sollen essen, was es hier gibt“, kritisiert Frau Schlager auch die Beigabe von abgepackten Salaten. „So was ißt man in den südlichen Ländern kaum wegen der Infektionsgefahr.“ Auch sei das Weißbrot ohne Vorhandensein eines Toasters eine Zumutung.
Henriette Katzenstein hat gar nicht erst von dem Paket gelebt. „Das sind keine Lebensmittel. Ich bin nicht bereit, mir und meinen Kindern so etwas zuzumuten“, beklagt sie vor allem das fehlende Haltbarkeitsdatum auf der Fleischverpackung. Den Inhalt hat sie weggeworfen. Von den angeblich mitgelieferten Menüvorschlägen hat sie keinen entdeckt.
Ausschließlich aus dem Paket versorgt hat sich die 62jährige Agnes Bennhold. „Nur Salz und Zwiebeln hab' ich dazugekauft“, berichtet sie gar von einem „Spartag“, den sie eingelegt habe, um ihren Besuch am nächsten Tag einigermaßen bewirten zu können. „Die haben alle mitgegessen und waren zufrieden.“ Aber auch sie moniert das fehlen von Gemüse und daß nichts Süßes im Paket war. „Die Paketempfänger können nicht mal mehr was sparen, um ein Festessen zu veranstalten“, fühlt Frau Bennhold mit und verweist auf die jämmerlichen 80 Mark Taschengeld im Monat.
„Beurteilen Sie selbst, wie sich aus Lebensmittelpaketen leben läßt!“ fordern die Initiatoren der Aktion auf. Doch schon nach einer Woche haben die meisten die Schnauze gestrichen voll. Derart eingeschränkt zu leben und sich vorschreiben lassen zu müssen, was man zu essen und zu trinken hat, hält Professor Harth für menschenunwürdig und degradierend. „Flüchtlinge werden aus dem sozialen Leben ausgegrenzt und zu Menschen zweiter Klasse gemacht.“
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