Berlinale

Den Tag mit Filmen zu verbringen, das ist leichter, als viele meinen. Zwiespältig wird es nur in den Pausen:

Es ist kurz vor drei auf der Wanduhr im Delphi-Café. Ich sitze an der Theke, bestelle Milchcafé und ein Baguette. Am Ende der Theke eine Frau mit rötlichen, kurzen Haaren. Vor ihr Zigaretten, die ich nicht kenne. Daneben der Presseausweis, auch eine Professionelle also, vielleicht aus Skandinavien? Hat sie mich gerade angeschaut? Ahnt sie vielleicht sogar, daß ich gerade über sie nachdenke?

Eine andere Frau am Tisch schaut auf ihre Uhr. Will sie in einen Film, wartet sie auf jemanden? Sie blättert in der viel zu großen Zeit. Liest aber nichts, schaut ins Leere, als denke sie nach.

Gerade, bei Lambert, ging's wieder mal nur um Sex. Eigentlich scheint es in allen Berlinale- Filmen nur um Sex zu gehen. Oder schickt mich die Redakteurin absichtlich nur in solche Filme? In dem amerikanischen „Floundering“ steht der Hauptdarsteller in einer Kneipe, spricht mit jemand. Das eigentlich Interessante passiert aber im Hintergrund: Ein Mann und eine Frau, die sich nicht kennen, tanzen zusammen. Dann hören wir, was wir eigentlich gar nicht hätten hören können, denn der Ton kam bislang aus dem Vordergrund. „You wanna fuck?“ Das Paar eilt Richtung Klo.

Sollte ich nicht zu der Rothaarigen gehen, einfach fragen: „You wanna fuck?“ Dann müßte sie aber auch reagieren wie die Frau im Film. Dann müßte ich aber natürlich auch mit ihr zum Klo gehen. Das wird aber bewacht von weißkitteligen Türstehern, die gibt's im Film nicht. Außerdem, im Delphi- Klo vögeln?

Ich habe auch gar keine Zeit, muß in einer halben Stunde schon längst wieder im Film sein. Na ja, halbe Stunde... Jetzt ist es sowieso zu spät: Sie zieht ihren Mantel an, klappt den Kragen hoch, wickelt einen Schal um. Ohne mich noch einmal anzuschauen, geht sie raus. Als wäre nichts zwischen uns gewesen. Andreas Becker