Gefangen im Wandschrankland

■ Trouble vorm Opernhaus Jacques Ullrich las in der Schauspielhauskantine aus „Entmenschlicht-Versuch über die Folter“ von Kate Millet

In eisiger Winterskälte fand nur ein gutes Dutzend Zuhörer den Weg in die Kantine des Schauspielhauses, um sich den eindringlichen Texten von Kate Millet über die Folter auszusetzen. Jacques Ullrich, der die Lesung gemeinsam mit dem Dramaturgen Tilman Raabke konzipiert hatte, trug am Samstag abend im Rahmen der Reihe Nachtkantine ein Kapitel aus Millets jüngstem Buch Entmenschlicht- Versuch über die Folter vor.

Kate Millet, 1970 bekannt geworden mit dem feministischen Grundlagenwerk Sexus und Herrschaft, vernetzt in dem 1993 erschienenen Buch Erfahrungsberichte von Menschen, die die Folter überlebt haben, mit ästhetischen Überlegungen zu Filmen und Fotografien, die Folter und Gewalt zu beschreiben versuchen, zu einem bedrückenden Zeugnis des menschlichen Zerstörungswillens.

Eindringlich trägt Jacques Ullrich das Kapitel „Closet Land: Staatsgewalt und Sexualität“ vor, das Millet nach dem gleichnamigen Film der indischen Regisseurin Radha Baradwaj verfaßte. Es beschreibt die Geschichte eines Opfers sexuellen Mißbrauchs, das durch den Versuch der Verarbeitung des Schreckens zur Staatsdissidenten gestempelt wird. Diese Schilderungen aus dem „Wandschrank-Land“ machen das Opfer von einst erneut zum Opfer eines raffinierten verwandlungsfähigen Inquisitors.

Der Schuldspruch, mit dem der Folterer die „Dissidentin“ belegt, ist dabei so willkürlich, wie es auch die unmenschliche Straf-Methode der Folter ist. Doch die zweifach unterdrückte Frau unterschreibt keine Zugeständnisse, sie beugt sich keiner Drohung. Zur Verwirrung ihres Peinigers entflieht sie den unerträglich erscheinenden Schmerzen auf den Kinderflügeln ihrer Phantasie. Am Ende wird der Zuhörer mit der Ungewissheit über ihr Schicksal entlassen und mit ihrer Erkenntnis, die bei Millet zitiert wird: „Ich bin zum Anfang zurückgekehrt, weil ich gefoltert wurde, habe ich ,Closet Land' geschrieben, und weil ich ,Closet Land' geschrieben habe, wurde ich gefoltert“.

Solange die Folter als Mittel und Methode staatlicher Willkür auch im 20. Jahrhundert eingesetzt wird, muß sie thematisiert und angeprangert werden - und sei es auch vor wenigen Zuhörern der samstäglichen Nachtkantine. Simo