Ein Rumms mehr

■ Videofest: Hommage an John Cage

Ein Auge, umrahmt von Lachfältchen, ungeordneten Brauen und Tränensack, öffnet sich. Mit dem Klimpern der Lider beginnt das Konzert. Der amerikanische Komponist John Cage sitzt am geöffneten Fenster seines Arbeitszimmers und lauscht selig. Hupende Autos, schnappende Türen, hastige Schritte, der brausende Wind. „Wenn wir Lärm versuchen zu ignorieren, stört er uns", hat er 1937 in seinem „Credo" formuliert, „wenn wir auf ihn achten, wird er faszinierend." Nichts bleibt unbeobachtet, nichts un-erhört. Cage sammelt Geräusche mit dem sicheren Instinkt des Trödlers für weggeworfene Schätze, läßt Papier zerreißen, einen Basketball auftappen und konfrontiert den Krach mit elegischen Violinphantasien und romantischem Pianospiel.

Henning Lohners 1993 gedrehte 130-Minuten-Hommage an den Avantgarde-Musiker führt in unaufdringlicher Bild-Ton-Didaktik zu den Kompositionsprinzipien des Mannes, dem die moderne Musik die Symbiose von Harmonie und Chaos verdankt. Lohner hat Straßen- und Landschaftsbilder aufgesammelt und präsentiert sie wie auf einer Guckkasten- Bühne. Häuserwände links und rechts, der Himmel spätnachmittagsblau, ein paar Sekunden passiert gar nichts, hört man keinen Mucks. Dann fährt ein Auto vorbei. Und noch eins. Eine Herbstlandschaft am See. Farben, Stille, Bewegungslosigkeit. Dann segelt ein Blatt herunter. Symphonie der Zufälligkeiten.

Mit schnellen Schnitten fügt Lohner Details zu witzigen Subkompositionen zusammen, die dem fast dauerschmunzelnden John Cage gefallen dürften. Fett spritzt in einer Pfanne, Hähnchenschenkel werden artistisch hin- und hergewendet. Im Hintergrund erklärt George Bush auf dem Fernsehschirm Saddam Hussein den Krieg. Ein Rinderkopf wird im Staccato zerschlagen, Gehirn platscht in ein Plastikschälchen. Das Zischen des Bratfetts, das Summen der Stille und immer wieder Gerede.

Lohner hat Freunde, flüchtige Bekannte, Verehrer des Komponisten vor die Kamera gelockt. Da erzählt Heiner Müller mit sonorer Verschmitztheit von einem Cage- Konzert, das in Rom vor 5000 Menschen begann und vor 400 endete: „Cage war völlig deprimiert – weil so viele geblieben sind." Da erlärt Richard Serra mit glühendem Blick John Cages Mikrokosmos: „Alle Teilchen darin sind gleichrangig." Frank Zappa, Yoko Ono, Dennis Hopper, William Forsythe, Metereologen, Informatiker, Gehirnforscher, Käseverkäufer und Blumenhändler – sie alle fungieren als Chorstimmen, die sich kurz vor Ende des Films zu einer rhythmischen Collage aus babylonischem Sprachgewirr vereinen. Lohner hat auch diese Dokumente der Zuneigung streng didaktisch angeordnet. Immer wieder durchbricht das Unerwartete – Lachanfälle, Schneuzen, ekstatische Gesten – kühles Arrangement. Und wenn Lohner Wissenschaftler zum Beweis wider Gott und das Unkalkulierbare antreten läßt, kann man sicher sein, daß ihre Maschine gewordenen Thesen – durch den Flur rollende Roboter – schon in der nächsten Einstelllung gegen eine Wand prallen werden. Ein Rumms mehr. Birgit Glombitza

Henning Lohner: „Die Rache der Toten Indianer“. Video, D 1993, 130 Minuten