Short Stories from America: Wahnsinnig patriotisch
■ Die Liberalen, die die Bobbitt-Affäre, das Kondomverteilungsverbot und Obdachlosenverhaftungen beklagen, haben mal wieder gar nichts verstanden
Jetzt jammern die Liberalen mal wieder, Amerika gerate in ein schlechtes Licht. In großen Zeitungen und linkslastigen Journalen wie der Nation beklagen sie in ihren Artikeln lauthals, Spektakel wie der Bobbitt-Glied-ab- Prozeß und die Opposition gegen die Kondomverteilung in den Schulen setzten die Vereinigten Staaten dem Gelächter der Welt aus. Die Leute haben den wahren Wert solcher Schauspiele mal wieder übersehen. Vor allem waren sie unfähig, den Patriotismus darin wahrzunehmen.
Nehmen wir doch bloß mal den Bobbitt-Prozeß. Die Liberalen sind empört, daß amerikanische Marineinfanteristen, wie der Prozeß ans Licht brachte, ihre Frauen vergewaltigen und vor ihren Kumpels auch noch damit angeben. Sie glauben, die Welt werde uns deshalb den Rücken wenden. Das ist Unsinn: Die Welt wendet sich uns zu, so wie sich Autofahrer den Hals verrenken, wenn sie an einem besonders schönen Unfall vorbeikommen. Bürger anderer Länder genießen es voll innigem Vergnügen, wenn sich die Vereinigten Staaten ins Knie schießen – oder auch ein bißchen höher.
Unterhaltung ist derzeit unser bester Exportartikel, und was bot in der letzten Zeit bessere Unterhaltung als der Bobbitt-Prozeß? Hätte sich John Wayne Bobbitt wie ein Pfadfinder benommen, hätte es gar keinen Prozeß gegeben; vielleicht wäre auch gar nichts passiert, wenn man ihn nicht John Wayne getauft hätte. Aber der Prozeß zog ganz unerwartet Touristen ins Land, vor allem Reporter, die auf Spesen essen und faxen. Aus Deutschland meldeten sich mehr Journalisten zu diesem Prozeß an als bei jedem anderen politischen Ereignis in der Geschichte der Vereinigten Staaten. Für Amerika ist das ein warmer Regen, denn angesichts einer stotternden US-Wirtschaft ist jede zusätzliche D-Mark der reine Patriotismus. Gott segne die Bobbitts.
Die Liberalen sind auch empört, daß sich gegen die Kondomverteilung in den Schulen Protest erhob. Wie in meiner letzten Kolumne berichtet, verlor der Erziehungsbeauftragte der Stadt New York, Joseph Fernandez, auf Grund der Proteste der Eltern seinen Job, und New Yorker Gerichte entschieden vor einigen Wochen, die Schulen dürften ohne Zustimmung der Eltern keine Kondome verteilen. Das Erfordernis der elterlichen Genehmigung dürfte die Zahl der kondombegierigen Teenager drastisch vermindern, und die Liberalen meinen, Amerika gebe deshalb, was Aids und die Schwangerschaften Minderjähriger angeht, das Bild eines Kurzsichtigen ab.
In Wirklichkeit ist das Erfordernis der elterlichen Genehmigung der erste Schritt eines einfallsreichen Planes, um Mittel für Sozialleistungen zu beschaffen. Den nächsten Schritt bildet dann eine Luxussteuer für alle, die ihren Kindern verbieten, Kondome anzunehmen. In den USA gibt es eine Luxussteuer auf Yachten, kostbaren Schmuck und seltene Tiere, wie zum Beispiel den Vogel Strauß.
Mit der neuen Luxussteuer würde also auch das Vogel-Strauß-Denken erfaßt. Wer sich den Luxus leisten will, seinen Kopf in den Sand zu stecken, um das Sexleben von Teenagern zu ignorieren, der sollte dafür auch bezahlen. Mit den Einnahmen aus dieser Steuer könnten die Ergebnisse dieses Denkens korrigiert werden, zum Beispiel durch Gesundheitspläne für Schwangere und Kleinkinder, Kindertagesstätten, Aidsforschung und -behandlung. Im letzten Jahr, als der Protest gegen die Kondomprogramme begann, ist den Liberalen gar nicht aufgefallen, daß der Protest in Wirklichkeit diese neue Geldquelle erschließen sollte. Die Protestierenden wollten das soziale Gefüge Amerikas festigen und die Vereinigten Staaten – wie George Bush einmal sagte – zu einem freundlicheren, sanfteren Land machen. Und das nenne ich Patriotismus.
Auch New Yorks neuer Bürgermeister Rudolph Giuliani stößt bei den Liberalen auf wenig Verständnis. Er billigte die Verhaftung der Obdachlosen, die angesichts der klirrenden Winterkälte lieber in der U-Bahn betteln als auf der Straße. Er meinte, in diesem außergewöhnlich kalten Winter könne er den Obdachlosen am besten helfen, indem er „für wärmeres Wetter sorge“. Liberale und andere mitleidige Menschen hielten das für etwas – sagen wir – kühl. Aber ihnen mißfällt ja auch das neue Schild, das die Stadt in den U-Bahnwagen angebracht hat. Darauf steht: „Oh je. Bittebittebitte, bleib nicht vor MIR stehen, bettle nicht MICH an. NA WUNDERVOLL. Jetzt guckt schon der ganze Wagen. Ich weiß schon, ich tue so, als läse ich ein Buch. Hör zu, es tut mir leid. WIRKLICH. Aber es ist ja schließlich mein Geld. Und WIE soll ich wissen, wofür du es ausgibst? ICH WEISS ES EBEN NICHT. Tut mir leid, von mir kriegst du kein Geld. – Bettelei in der U-Bahn ist verboten. Egal, was Sie denken. – U-Bahn-Behörde.“
Einige sanft gestimmte Seelen betrachten dieses Schild als hartherzig und finden die Methode, Obdachlose ins Gefängnis zu stecken, ein kleines bißchen grausam. Sie haben Giuliani schon wieder nicht verstanden. Die Verhaftungen sind seine Art, den Obdachlosen ein warmes Plätzchen zu verschaffen. Die Obdachlosenheime sind ja so überfüllt.
Hilfe für die Unglücklichen ist zutiefst amerikanisch. Auf der Freiheitsstatue steht die Inschrift: „Gebt mir Eure Mühseligen, Eure Beladenen ...“ Giuliani führt diese Tradition fort. Und eben das nenne ich wahrhaften Patriotismus. Marcia Pally
Aus dem Amerikanischen von Meinhard Büning
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