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Tanz den Bad Kleinen

Freitag in Freiburg: Uraufführung von „Tatort. Die Sieben Tode des Wolfgang G.“ Mit Dire-Straits-Musik!  ■ Von Ulrich Fuchs

Ritsch, ratsch, ritsch, ratsch – die zwei toten Kontrahenten, in Papiersäcke eingeschnürt und wie zum letzten Abtransport auf der Bühne aufgestellt, kehren noch einmal für eineinhalb Stunden zurück. Das (Selbst-)Auspacken der Toten, ein erstes Bild, das die Richtung des Abends vorgibt. Freitag, kurz nach 20 Uhr, Premiere – das Choreographische Theater der Städtischen Bühnen Freiburg unter Leitung von Pavel Mikuláštik präsentiert seine neue Produktion: „Tatort – Die sieben Tode des Wolfgang G.“

Die zwei Pappsack-Kameraden stehen für Wolfgang Grams und Michael Newrzella, die bei der sogenannten Aktion „Weinlese“ (Wer eigentlich läßt sich solche Namen einfallen?), „durchgeführt“ auf dem Bahnhof des 4.000-Seelen-Kaffs Bad Kleinen am 27. Juni des vergangenen Jahres, auf der Strecke geblieben sind. Geschmacklos?

Gerade mal ein gutes halbes Jahr nach dem Showdown in der Provinz eine theatralische Auseinandersetzung: Das macht zumindest mißtrauisch, in Befürchtung einer Fortsetzung des medialen Spektakels mit anderen Mitteln. Muß sowas nicht in schwerkalibrigem Kitsch enden?

Das Choreographische Theater Freiburgs jedenfalls, eher ein Stiefkind der städtischen Kulturpolitik (es sollte unlängst schon aufgegeben werden), hatte mit seiner Inszenierung bereits im Vorfeld für beträchtlichen Medienwirbel gesorgt. „Daß was passieren würde, hatten wir erwartet“, erzählt Pavel Mikuláštik am Tag vor der Premiere, „aber nicht, daß es so schlimm wird.“ – Die sechste Fernsehanstalt hat er inzwischen abgefertigt und dabei das Prinzip der umgekehrten Proportionalität entdeckt: „Je größer der Sender, desto blöder sind die Fragen, die die stellen.“ Dabei waren im Sommer letzten Jahres „die Medien“ für Mikuláštik ein Antriebsmoment zur (auch) künstlerischen Auseinandersetzung mit den Vorfällen in Bad Kleinen: „Noch bevor die Blutsuppe weggewischt war, haben die Medien doch schon alles in Kästchen gesteckt und ,Mörder‘ draufgeschrieben oder ,Held‘.“

Zur Chronologie: Am 2. Juli 93 veröffentlicht die taz einen Brief Birgit Hogefelds aus dem Knast; dann erscheint im Spiegel der Beitrag „Die verlorenen Söhne“, in dem der Autor Bruno Schrep schreibt: „Daß sie sich einmal begegnet sind, ist nicht nur Zufall, sondern auch Ergebnis ihrer unterschiedlichen Einstellung zum Staat: Der eine wollte noch mit 40 die Gesellschaft verändern – mit Gewalt. Der andere fand die Bundesrepublik Deutschland so gelungen, daß er schon mit 20 für sie zu kämpfen bereit war – notfalls mit Gewalt.“ Texte, die Mikuláštik beeindruckt haben müssen – mit Birgit Hogefeld nimmt er brieflich Kontakt auf und besucht sie im Januar; Texte, deren Spuren der Aufführung anzusehen sind.

Die gleichmachende Totenhülle des Papiersacks entläßt zwei Gegner auf die trostlose Bahnhofsbühne (Cary Gayler), die auch als Lebende kaum unterscheidbar sind, als sie bei ihrer finalen Begegnung mit identischen Kampfanzügen und verbundenen Köpfen (Kostüme: Sabine Schnetz) aufeinandertreffen. Ganz offensichtlich haben Mikuláštik weniger „die ganzen Verdrehungen, Lügen, Verarschungen“ nach Bad Kleinen interessiert als vielmehr eine so ausgedrückte Wesensverwandtschaft von Grams und Newrzella. „Die sieben Tode des Wolfgang G.“ ist keine kriminalistische Rekonstruktion, sondern eine „persönliche“ Annäherung an die Figuren, die sich in zwischen die Szenen gesetzten Bildsequenzen ausdrückt.

Was aber hat Grams/Newrzella zu diesen verrenkten, verdrehten, eingewickelten Figuren werden lassen, deren Hände sich in der Schlußsequenz – arg pathetisch (der Herrgott setzt den Hobel an ...) – im Moment des Todes finden? Hier wenigstens versucht sich das 16köpfige Ensemble des Freiburger „Tatorts“ zur Musik von Henryk Górecki, Trevor Coleman und den Dire Straits (!!!) in Spurensicherung. Da sind die Wiederaufbau-Eltern, die Grams aus Backsteinen das wacklige Podest errichten, auf dem er es einmal besser haben soll; die Maschine Schule, die in Newrzella den Satz einschreibt: „Dulce et decorum est pro patria mori“ (Süß und ehrenvoll ist es für das Vaterland zu sterben). Auch die reichlich plakative Parallelsetzung des GSG-9-Drills mit linksradikalen Initiationsriten.

All das kann Mikuláštiks Inszenierung nicht zu dem Spiel machen, das dem hohen Anspruch gerecht wird. Im Gegenteil: Erst als diese linearen Deutungsmuster der von der Gesellschaft deformierten Außenseiter gebrochen werden, als die sozialarbeiterische Anklagehaltung unterlaufen wird, beginnt der „Tatort“ wider Erwarten in Maßen zu faszinieren. Alles ist plötzlich Widerspruch: Der Bahnhof Bad Kleinen als Ort, an dem eine Geschichte aus den Fugen gerät, oder vielleicht nur das aus den Fugen Geratene sichtbar wird. Die Toten: nicht die Opfer eines generalstabsmäßig geplanten und dann doch in den Sand gesetzten Polizeieinsatzes, sondern rituelle Blutopfer einer Gesellschaft, in der Terrorismus das herrschende Prinzip ist. Kein Zeigefinger mehr, wo solche Bilder auf die Bühne getanzt werden.

Besonders wohl ist einem trotzdem nicht, als endlich der Vorhang fällt (und bei Eva Cerna, der Darstellerin Birgit Hogefelds, die Nähe zur gespielten Person sich beim Schlußapplaus in Tränen löst). Darf man das alles denn? Kann die Ästhetisierung des Geschehenen, die theatralische Inszenierung eines Schmierentheaters, tatsächlich den Prozeß einer anderen Erinnerung in Gang setzen? Das Freiburger Premierenpublikum zumindest scheint dieser Ansicht zu sein. Begeisterter Beifall.

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