: Erneut Bedenkliches
Allüberall ist mit festlichem Obertone vom Ende der Utopien die Rede, da überrascht uns die staatstragende Partei mit so himmelblauen Absichten, daß es uns wahrlich die gespaltene Zunge lähmt: Wolfgang Schäuble, ja!, ausgerechnet unser Wolfgang the Wiesel Schäuble ist von der Idee des „Friedensdorfes“ in Storkau bei Berlin „fasziniert“ und möchte helfen, daß ein, zwei und noch viele Storkaus entstehen.
Sie werden fragen, was es mit Storkau auf sich hat. Stellen Sie sich einen alten, verwilderten Sportplatz im Osten vor, umgeben von jungen, verwilderten Menschen, die mit Flaschbier und Rambomesser in der Hand schlecht über ausländische MitbürgerInnen reden. Flugs eilen zu dieser altdeutschen Szene Notärzte für alle Fälle hinzu und fordern: Hier, an dieser leeren Stelle ist der Ort, etwas Beßres zu beginnen und ein neues Deutschland aufzubauen. Brüderlich mit Herz und Hand sollen in zwei Reihen 17 Wohnhäuser entstehen, umgeben von Wegen und Teichen, dazu ein Abenteuerspielplatz. Und in diese Enten- und Krötenlandschaft hinein sollen dann Menschen angesiedelt werden, echte Menschen aus Deutschland und, na ja – anderswo.
Die Idee, daß in diesem kleinen Ghetto des guten Willens Deutsche und Ausländer friedlich zusammenleben, fasziniert also Wolfgang Schäuble. Die Initiative „Du, zünd' meinen Nachbarn nicht an!“ findet Wohlgefallen beim Ehrenfeldmarschall der leider auf deutschen Boden beschränkten Bundeswehr, die sich – seiner Winteroffensive folgend – am Bau des Friedensdorfes Storkau mit der Devise „Waffen zu Pfahlbauten“ schon beteiligt hat.
Offenbar ist dem Schattenkanzler entgangen, daß das Projekt „Deutsche und Ausländer leben zusammen“ bereits mehrfach in der Bundesrepublik verwirklicht wurde: in Mölln zum Beispiel, und auch in Solingen. Junge Menschen sonder Zahl, denen es als Volksdeutschen an Raum gebrach, haben hier wie in Rostock und anderswo dafür gesorgt, daß der höhere Wille ihrer Regierung seinen Niederschlag fand.
Wenn Schäuble sich nun dieses SOS-Ausländerdorfes als Adoptivvater annimmt, sorgt er als erstes für Verwirrung: Macht jene moralische Bannmeile, die er regierungsmäßig um dieses ursprünglich „von unten“ entstandene Dorf schlägt, alle noch nicht zum Friedensdorf erklärten Bezirke, wo nach wie vor Deutsche mit Ausländern zusammenleben, zu weihe- und rechtsfreiem Gelände?
Bekommt Storkau bald das Kulturdenkmalsprädikat „Wertvoll“ der Unesco, und zahlen Besucher Eintritt? Unverbindl. Preisliste inkl. MwSt.: Deutsche Erwachsene 3 Mark, Jungnazis und reinrassige Schäferhunde das Doppelte, Soldaten, Kinder und Asylbewerber die Hälfte. Für Journalisten ein Kodak-Film umsonst. ES
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