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Berlin bleibt Berlin!

■ In der Hauptstadt wagen neue Blätter das Risiko "kritischen Journalismus" / Promis und Alkohol-"Penner" kommen zu Wort

Während die von Konsul F.J. Meyer in Charlottenburg herausgegebene Zeitschrift Marktwirtschaft, die regelmäßig der russischen Iswestija beigelegt werden sollte, schon wieder vom Markt verschwunden ist („Bei Kali hat es nie eine Marktwirtschaft gegeben, Ende der Durchsage,“ so Tyll Necker), haben zwei andere Verleger, die nun ebenfalls à la Henri Nannen jedesmal mit Photo und einseitigem Text dem „Lieben Leser“ persönlich kommen, erneut das enorme Risiko „kritischer Journalismus“ gewagt.

Eines heißt Zukunft Berlin („Das Hauptstadt-Magazin für Wirtschaft und Kultur“). Es wird vom Hamburger Till-Mathias Jürgens in Kooperation mit dem „Hauptstadtbüro“ des Senats und der „Berlin 2000 Marketing GmbH“ herausgegeben. Mitarbeiter Eberhard Diepgen, der eben noch gemeint hatte: „Bei uns ist jeden Tag Bischofferode“, sieht jetzt in seinem Beitrag nur noch: „Bauschilder“, die „reizvoll-schemenhaft die künftige Gestaltung dessen annoncieren, was heute vielerorts öde, lehmige Fläche ist“.

Er spielt damit auf die überall aufgestellten traurig-armseligen Visionen international-reaktionärer Toparchitekten an, auf denen stets die angeberisch postmodernen Neubauten nur angedeutet, die Bäume (Linden), Passanten (US-deutsche Jungmänner beziehungsweise -frauen), Straßen (Asphalt) und Autos (Mercedes- oder BMW-Limousinen) dagegen liebevollst farbig ausgemalt sind. Solche „Hoffnungen der europäischen Revolution von 1989“ gehen jetzt, laut Diepgen, „still, aber stetig in Erfüllung“, womit er sicher auf die undemokratischen Ausschreibungen und mafiösen Planungsverfahren sowie auf die Asylverschärfung anspielt. Am Schluß findet der Regiermeister schließlich doch zu einem optimistischen Trotz-Alledem! zurück: Es „wird eins vor allem und unverwechselbar bleiben: Berlin!“

Ähnlich bewegend des Bundespräsidenten, von Weizsäckers, Kurzessay drei Seiten weiter – und bereits am frühen Morgen nach seinem Umzug ins Berlin-Dahlemische verfaßt: „Die für uns Deutsche so bewegenden Stunden der letzten Nacht bedeuten einen tiefen Einschnitt in der Nachkriegsgeschichte“. Das ist freilich nicht ganz ohne Neuhausbesitzer-Pathos empfunden. Zukunft Berlin hat jedoch auch den von Obdachlosigkeit und Entmietung bedrohten Altbewohnern der Stadt etwas zu bieten: zum Beispiel ein Portrait der (blonden) Chefin des neuen „Relocation Service“ – Sabine Faber.

Auch die zweite neue Zeitschrift, t. („das totale magazin“), will dem Hauptstädter praktische Hilfe und „auf den Punkt gebrachte“ Tips servieren. Herausgegeben wird die Abonnement-Zeitschrift von einem lustigen Familienunternehmen namens „Die totale Mediengesellschaft von Holst und Partner GmbH + Co KG“. Und gleich in der ersten Nummer empfiehlt der interviewte Kabarettist Dieter Hildebrandt die totale Rückwende: „Es muß wieder eine soziale Marktwirtschaft werden... Jetzt kann jeder den anderen aufs Kreuz legen und wird dafür noch belohnt.“

Katarina Witt beschwört dagegen – eher aktionistisch als systemkritisch – den Geist von Bischofferode: „Ich bin stolz darauf, nicht aufgegeben zu haben. Selbst als es wirklich weh tat.“ Wenn andere es ihr gleichtun – und dabei denkt sie nicht nur an Sportler – „dann ist das etwas, wofür ich noch viel mehr als die Stunden hartes Training einsetzen würde“. Zu spät, die Schließung der Kaligrube ist bereits beschlossene Sache, möchte man der sympathischen Ost-„Carmen on Ice“ noch nach Nord-Lillehammer nachrufen. Aber nicht nur prima Promis, auch ein nahezu anonymer Alkohol-„Penner“ namens „Indochina-Iwan“ kommt zu Wort. Gesundheits- und Einkaufstips runden das Hauptstadt-Journal ab.

Das dritte, eher ein „Info“, heißt Ostwind. Bis Ende letzten Jahres wurde es noch von vornehmlich Ostberliner Betriebsräten finanziert, jetzt gibt es – mit Geldern aus Bischofferode – der Profisolidarist Martin Clemens heraus. Die politische Linie des Blattes ist dadurch klarer und noch übersichtlicher geworden: Da werden – am Beispiel der Kalikumpel – die „hochbezahlten Helfer des Finanzkapitals in Treuhand und Politik“, gegeißelt, das „klägliche Nichtstun“ von Osram-Betriebsräten in Berlin angeprangert und „Solidarität“ mit dem angeklagten BMWler Hans Köbrich gefordert, der sich „einem Aufmarsch der neofaschistischen FAP in Lichtenberg spontan entgegenstellte“. Das Abo-Info versteht sich als publizistische Flankierung einer „gesamtdeutschen Organisierung“, aus deren Kerninitiative die Ostberliner Betriebsräte allerdings vor kurzem austraten, weil sie sich insbesondere von Clemens bevormundet fühlten. Hinzugefügt sei noch, daß Jakob Moneta, als alter Trotzkist im jungen PDS-Vorstand, und ich, als früherer Abonnent des Kleinen Tierfreund und der Roten Pressekorrespondenz, auch weiterhin an den Sitzungen der Clemens- Initiative teilnehmen wollten, wenigstens einmal noch. Wir wurden jedoch sofort – als erster Tagesordnungspunkt – ausgeschlossen.

Auf dem Nachhauseweg, vom Weddinger DGB-Jugendhaus „Olof Palme“, fragte Jakob mich: „Ist es das erste Mal für dich? Mich hat man schon schon aus einem Kibbuz bei Haifa, aus der IG Metall und aus der SPD ausgeschlossen. Mach dir nichts draus!“ Das tat ich auch nicht. Jakob Moneta war, glaube ich, sogar ein wenig stolz über das nahezu einstimmige Votum gegen ihn. Helmut Höge

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