: Einäugige Justitia
■ Betr.: „Hangmen also die?“, taz vom 15.2.94
In seinem Kommentar zur Sache des Haftbefehls wegen Beihilfe zum Völkermord gegen einen bosnischen Serben nimmt Semler in präventiver Abwehr einige Argumente vorweg, die sich kritisch zur generellen Anwendung des Paragraphen 220a des StGB äußern könnten. Diese Einwände vermutet er bei „gußeisernen Linken“, die den Staatsanwälten Heuchelei vorwerfen möchten, da diese in vielen anderen Fällen nicht tätig würden.
Diese Auffassung will Semler durch eine „simple Tatsache“ widerlegt wissen. Abschrecken könne nur die konkrete Strafverfolgung: „Wer sich an wehrlosen Menschen vergeht, tut das in der Regel, weil er sich sicher wähnt.“
Genau diese Kontraargumentation fällt jedoch auf ihren Stifter zurück. Auch die für Folter und tendenziellen Völkermord verantwortliche türkische Staatspräsidentin Ciller kann so handeln, weil sie sich garantiert sicher weiß. Gegen sie und ihre Waffenlieferanten hat die Generalbundesanwaltschaft auch nur die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens abgelehnt.
Diese entscheidende Differenz im Umgang mit Völkermord und Verbrechen gegen die Menschlichkeit macht jene unerträgliche Einäugigkeit aus, die Semler vergebens zur vollzogenen Gerechtigkeit erklärt und erhoben wissen möchte. Hans Branscheidt,
medico international
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