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Zwischen Recycling und Dilettantismus

Nach Festlegung der Kandidaten scheint die Aussicht auf weiteres Chaos nach den Wahlen noch wahrscheinlicher / Ein Drittel der alten Abgeordneten stellt sich wieder zur Wahl / Rechtsbündnis mit Chancen auf absolute Mehrheit  ■ Aus Rom Werner Raith

Vier Wochen vor den vorgezogenen Neuwahlen geht in Italien die bange Frage um: Reicht es für künftige Regierungen aus, wenn nur „ehrliche“, redliche Menschen in die beiden Volksvertretungen – Abgeordnetenhaus und Senat – einrücken? Einen „politischen Dilettantenhaufen“ nannte immerhin eine amerikanische Fernsehstation die Aspiranten für die künftige Regierung.

Die Antwort auf die Frage lautet in Italien denn auch nur: Schlimmer als bei ihren Vorgängern kann's nicht mehr werden. In jedem Falle also sei die Einführung des Mehrheitswahlrechts ein Schritt in die richtige Richtung auf dem Weg zur „zweiten Republik“. Danach werden 75 Prozent der Kandidaten direkt an die Wähler angebunden, der Rest wird nach dem Verhältniswahlrecht bestimmt. Immerhin präsentieren sich für die knapp tausend Sitze in Senat und Abgeordnetenhaus fünftausend Kandidaten, im Namen von drei großen Gruppierungen und zwei Dutzend regionaler oder lokaler Initiativen. Und nur ein Drittel der bisherigen Repräsentanten stellen sich erneut zur Wahl – gute Aussichten also, daß die verbrauchte „erste“ nun wirklich in eine „zweite“, modernere, sauberere Republik übergeht?

Genau an dieser Stelle beginnen aber nun, da am Montag abend alle Kandidatenlisten definitiv bei den Wahlämtern hinterlegt wurden, so manchen Zeitgenossen üble Vorahnungen zu befallen. Zwar betonen zumindest die größeren Parteien, daß sie nur unbescholtene Kandidaten in die Wahlkreise geschickt haben, also solche ohne Ermittlungsverfahren und dunkle Punkte in der Vergangenheit. So ist kein einziger Chef der langjährigen Regierungsparteien noch einmal nominiert worden, nur wenige der amtierenden Minister treten an. Regierungschef Carlo Azeglio Ciampi, ohnehin nicht Parlamentarier, hat erklärt, daß er auch weiterhin keinerlei Appetit auf einen Sitz in der Volksvertretung hat.

Zweifel an der Rundumerneuerung sind dennoch nicht von der Hand zu weisen. Nicht nur, daß unter dem Drittel Kandidaten, die sich erneut präsentieren, so mancher ist, den man eigentlich bereits beim alten Eisen hoffte. Ciriaco De Mita etwa, der ehemalige Chef der Democracia Cristiana (DC), damals abgehalftert und von den Nachfolgeorganisationen der DC nicht mehr aufgestellt, wurde von einer geradezu plebiszitären Volksbewegung seines bisherigen Wahlkreises schnell auf eine eigens für ihn gegründete Liste gehievt. Er verzichtete auf diese Kandidatur dann nur, weil einer seiner engsten Gefolgsleute auf der Liste der Volkspartei kandidiert – Zeichen, daß mit dem in mehrere Ermittlungsverfahren verwickelten Ex- Capo der Katholikenpartei auch weiterhin zu rechnen ist.

Einige alte DC-Kämpen kandidieren sogar mit den „Fortschrittlichen“ im Gefolge der KP-Nachfolgerin „Demokratische Partei der Linken“. Und auf der anderen Seite präsentieren sich einige nicht mehr so geliebte Linke in der Rechtsallianz mit dem Mailänder Medienzaren Berlusconi, so etwa die ehemalige feministische Mitstreiterin zuerst der Sozialisten und dann der Kommunisten, Tina Lagostena Bassi.

Schaudern hat jedoch vor allem bei gedächtnisstarken Italienern eine Beobachtung gemacht: Immer deutlicher wird das Comeback einer Gruppe, die eine unheilvolle Rolle in den 70er und den frühen 80er Jahren gespielt hat – die 1982 per Gesetz aufgelöste umstürzlerische Geheimloge „Propaganda 2“, in der sich Minister, Parteivorsitzende, der Generalstab des Heeres, die Geheimdienstspitzen, Medienmogule, Topbanker und einflußreiche Journalisten zusammengetan und eine autoritäre Republik einzuführen versucht hatten. Die „P 2“ sucht offenbar erneut „ihre“ Leute zu plazieren. Daß Silvio Berlusconi ihr einst anhing, hat er selbst einräumen müssen; er wird aber überaus giftig, wenn ihn heute jemand daran erinnert. Am vergangenen Wochenende fragte ein junger Studiozuschauer das „marktwirtschaftliche“ Aushängeschild des Fernsehmonopolisten Berlusconis, den Wirtschaftsprofessor Antonio Martino, ob dieser sich nicht auch in die „P 2“ einzuschreiben versucht habe. Antwort: „Nein, das ist eine Lüge.“ Angesichts seines den Gerichten vorliegenden handgeschriebenen Aufnahmeantrags mußte er sich korrigieren – eine böse Belastung der Gruppierung Berlusconis.

Nur selten haben sich die höheren Tiere der verschiedenen Parteien bereit erklärt, in ein und demselben Wahlkreis direkt gegeneinander anzutreten. Spannendere Duelle sind so allenfalls in Rom, Mailand und Bologna zu erwarten, die jedoch auch keine Direktvergleiche der Parteibosse erlauben. In Rom tritt Silvio Berlusconi persönlich an – und versuchte bis zuletzt noch einmal auszusteigen, als sich herausstellte, daß da zwei hochkarätige Gegner antreten: der derzeitige Haushaltsminister Luigi Spaventa für die „Fortschrittlichen“, und der in Rom bereits mehrere Male mit der höchsten Stimmenzahl ins Rathaus, aber auch ins Europaparlament gewählte Erzkatholik Alberto Michelini, der dem „Pakt für Italien“ des DC-Dissidenten Mario Segni angehört und für die Vereinigte Mitte kandidiert. Michelini halten viele für den Bannerträger der kirchlichen Elitestoßtruppe „Opus Dei“, und die Kirche der Ewigen Stadt hat bereits klargemacht, daß für brave Katholiken nur er wählbar ist.

In Bologna muß sich der Chef der Linksdemokraten, Achille Occhetto, mit dem Benetton-Skandal-Fotografen Oliviero Toscani messen und dabei auch noch den Hoffnungsträger der Christsozialen, Pierferdinando Casini, übertreffen. Ausgerechnet in dem Mailänder Wahlkreis, wo Umberto Bossi, Führer der separatistischen „Ligen“ kandidiert und seinen Erfolg sicher glaubte, präsentiert sich noch ein Sympathieträger ersten Ranges: Gianni Rivera, der ehemalige Fußballstar des AC Mailand, der bereits bei den vorangegangenen Wahlen (damals noch für die DC) Rekorde erzielte. Heute tritt er für Segnis „Pakt für Italien“ an, während im selben Wahlkreis auch noch ein hochkarätiges Mitglied der Linksdemokraten, Fanco Bassini, konkurriert und möglicherweise einen ansehnlichen Teil der bislang zerstreuten Fortschrittlichen um sich sammeln kann.

Manche Medien haben jedoch ihre Lauscher bereits auf die fernere Zukunft gestellt und ausgerechnet, welche Konstellationen sich denn nach den bisherigen Perspektiven ergeben könnten – und da sehen weder Meinungsforscher noch Politauguren allzu rosig. Eine am Mittwoch in La Republicca veröffentlichte Meinungsumfrage des Instituts CIRM hält eine absolute Mehrheit des Rechtsbündnisses um Berlusconi und Bossi für möglich. Völlig im Abseits würden danach die „Volkspartei“ und Segnis „Pakt für Italien“ landen.

Sollte aber keiner der Blöcke die absolute Mehrheit erhalten, bedeutet das, daß erneut Koalitionen ausgehandelt werden müssen – und daß just jener große Vorteil, den die Verfechter der „neuen“ Republik den geänderten Wahlgesetzen zugeschrieben hatten, wieder verlorengeht: daß die Wähler vor der Wahl wissen, wer mit wem regieren wird. Und es kommt noch doller: Laut einer Umfrage des Doxa-Instituts haben 85 Prozent der Italiener von dem ganz großen Schritt zur „zweiten Republik“ noch gar nichts mitbekommen – sie wußten nichts von der Änderung des Wahlrechts.

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