Die Zeit der Stille ist weit

■ Ein popeliger Fflughafen im Höhenrausch: Die Passagierzahlen steigen stetig und Manager rascheln dezent mit der "FAZ" in der Air-Lift-Bar / Größter Pluspunkt: Citynähe

In dem Film „Engel aus Eisen“ von Thomas Brasch gibt es eine stille Szene. Der Zuschauer glaubt, die Tonspur sei fehlerhaft. Auch die Schauspieler tun so, als wären sie überrascht, bis Katharina Thalbach in die Ruhe hineinplatzt: „Sie fliegen nicht mehr in Tempelhof. Die Blockade muß beendet sein.“

Von einer neuerlichen Ruhe auf dem citynahen Flughafen können die Anwohner heute nur träumen. Die ruhigen Tage nach dem Ende der Berlin-Blockade 1948 oder durch die Eröffnung des Flughafens Tegel 1974 bleiben die Ausnahmen. Auch die Hoffnungen, durch die Verlagerung eines Teils des Flugbetriebs nach Schönefeld und den schnellen Bau eines Großflughafens Berlin-Brandenburg, das Luftkreuz zu schließen und die Umnutzung des vier Quadratkilometer großen Geländes ab 1996 planen zu können, haben sich für dieses Jahrtausend zerschlagen.

Der Standort boomt: Seit seiner Verwaltung durch die 1991 gegründete Berlin Brandenburg Flughafen Holding hebt der Flughafen in Superlativen ab. Seine Lage zieht die Geschäftsreisenden und Manager an. Während Tegel bei der Gesamtzahl von Starts und Landungen 1993 einen Rückgang von 6,3 Prozent verbuchte, steigerte Tempelhof seinen Anteil um 21 Prozent. 68.000 Flugbewegungen wurden letztes Jahr verzeichnet (in Schönefeld waren es 46.190). Von den rund 10 Millionen in Berlin beförderten Passagieren hoben 1,2 Millionen in Tempelhof ab. Gegenüber 1992 bedeutet dies eine Erhöhung der Passagierzahlen um 34 Prozent. Selbst bei Frachttransporten will sich der Flughafen unentbehrlich machen: Statt eines Rückgangs der Luftfracht wie in Schönefeld flogen die Transporter in Tempelhof ein Plus von 28 Prozent ein.

Die Erhöhung der Passagierzahlen in Tempelhof scheint einkalkuliert, setzt man doch auf den stadtnahen, gut erreichbaren Exklusivstandort. In der Publikation der Berliner IHK werden diese Vorteile als wirtschaftlicher Impulsgeber präsentiert. „Wir sehen unsere Aufgabe im Transport von Geschäftsreisenden. Sie machen fast 100 Prozent aus“, betont Holding-Pressechef Schultze. „Wir fliegen mit kleinem leiseren Gerät mit bis zu fünfzig Plätzen, sind aber nicht nur regionaler Verteiler. Von Tempelhof aus werden 18 europäische Ziele angesteuert.“

Auf den ersten Blick versperrt die Leere in der großen Halle den Eindruck prosperierender Geschäftigkeit. Trotzdem surren über dem Flugfeld die Maschinen im An- und Abflug. Alles ist kleiner. In der Air-Lift-Bar herrscht dezentes FAZ-Geraschel. „Trotz der Ausbauten werden wir die Service- Leistungen am Boden erhöhen müssen“, sagt Schultze. „Unsere Passagiere brauchen eine Post, Banken und Umtauschmöglichkeiten.“ Dienstags, donnerstags und freitags stürmten die Manager die Maschinen. Hinzu kommt, daß in Tempelhof die militärischen Traditionen auch nach dem Abzug der amerikanischen Luftstreitkräfte fortgeschrieben werden. Sind doch ein halbes Dutzend Helikopter des Bundesgrenzschutzes (BGS) dort stationiert, die mit nächtlichen Übungsflügen und Dezibelwerten, die über dem Dauerschallpegel von 64 (A) liegen, die Neuköllner Anwohner terrorisieren.

Der 1936 errichtete monumentale Bau von Ernst Sagebiel am Rande des einstigen Exerzierplatzes liegt wie ein Wackerstein im Berliner Stadtgrundriß. Die gigantischen Flughallen und Bürogebäude mit 9.000 Räumen für die „Neugestaltung der Reichshauptstadt“ mit einer Front von 1.230 Meter Länge, die sich im Viertelkreis wie eine Mauer von der Stadt abgrenzen, hatte der Architekt auf die zehnfache Auslastung hin geplant. 1936 war die Fluggastzahl gegenüber den Tempelhofer Anfängen von 9.000 auf 220.000 angestiegen. Die propagandistische Chiffre am Boden für das „Luftkreuz Berlin“ nahm jeden verträglichen innerstädtischen Maßstab, dem ganze Wohnviertel zum Opfer fallen sollten. Nach dem Ende des Krieges ausschließlich militärisch genutzt, konnten ab 1950 wieder zivile Flüge von Tempelhof aus starten. Die große Halle hinter dem schnittigen Flugsteigdach aus Stahl, in der die amerikanischen Soldaten bis zu ihrem Abzug Tischtennis spielten, wurde in den sechziger Jahren umgebaut und mit neuen Abfertigungseinrichtungen ausgestattet. Im Rekordjahr, 1971, passierten 5,5 Millionen Reisende die Schalter. Wegen Tegel aber verlor Tempelhof seinen zivilen Part. Über dem „Zentralflughafen“ kreisten bis 1990 nur noch Militärjets der amerikanischen Air Base Group.

In der nahen Zukunft wird der innerstädtische Flugplatz seine Rolle behalten. Klagen der Anwohner und Gestaltungsgutachten der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung zur geplanten Umgestaltung des Areals in Büro- und Wohngebiete, die sich um eine grüne Freifläche scharen, werden Papiertiger im Kampf gegen die brüllenden Kleinjets und Turbomaschinen bleiben. Auch gibt es noch keine konkreten Vorstellungen für den Umgang mit dem denkmalgeschützten Bauwerk. Die Zeit der Stille ist noch weit. Werden wir lauter. Rolf Lautenschläger