: Riese unter Zwergen
■ Architekt Peter Eisenman entwarf für das Reinhardt-Gelände einen Wackerstein im Bauch der Friedrichstraße
Die Architekturen der amerikanischen Avantgarde und die Berliner Bautraditionen scheinen sich auszuschließen. Auch zwei Wochen nach der Rückgabe des 6.000 Hektar großen Theatergrundstücks „Am Zirkus 1“ an die Erben Max Reinhardts klingt der Ton zwischen der Senatsbauverwaltung und den Reinhardt-Nachfahren wegen der Hochhauspläne auf dem Areal unversöhnlich. Für die spektakuläre Planung eines kristallinen Hochhausturmes „wird es keine Baugenehmigung geben“, betont Ralf Schlichting, Pressechef der Berliner Bauverwaltung. Der Entwurf des New Yorker Architekten Peter Eisenman im Stil eines in sich verdrehten und verkanteten Moebius-Bogens, der sich 120 Meter über das Grundstück am S-Bahnhof Friedrichstraße spannt, sei „an dieser Stelle zu hoch, zu riesig“ und passe sich nicht in das Stadtbild ein.
Zudem ließe sich die Turm- Skulptur bautechnisch kaum realisieren, meinen jetzt Bauexperten. Der Erdaushub für ein derartiges Gebäude erhöht das Risiko, den schwankenden Friedrichstadtpalast zu kippen. Zugleich bestünde die Gefahr, daß die Standfestigkeit von Hochbauten wie dem Handelszentrum auf dem schwammigen Berliner Grund erschüttert würde. Dem Erdauftrieb war groteskerweise das alte Theatergebäude Reinhardts in den achtziger Jahren zum Opfer gefallen.
Die Erben des legendären Theatermannes und die mit ihnen kooperierenden Investoren, die Frankfurter Advanta AG, sehen das anders: „Dem theatergeschichtlichen Ort wird nur ein außergewöhnlicher Entwurf gerecht“, kommentiert Claus Dehmke, Generalbevollmächtigter der Advanta. Die unterbewertete Topographie des Geländes verlange die Gestaltung eines „Stadtwahrzeichens“. Für die Theaterliebhaber sei der Ort Sinnbild, dessen Mythos sich in dem riesigen Monument aus Glas und Stahl widerspiegeln müßte.
Die Eisenmansche „Stadtkrone“, die Hotels und Geschäften, einer Schauspielschule, dem Reinhardt-Archiv und einer Cinemathek Raum geben würde, bildet eine Fortsetzung der glorreichen Standort-Vergangenheit, meint Dehmke. Hans Poelzig hatte 1919 dort den Zirkus Schumann zu einem neuen Haus mit 3.000 Plätzen, Reinhardts revolutionärer „Tropfsteinhöhle“, umgebaut. 1933 vertrieben ihn die Nazis aus dem Schauspielhaus, das Vermögen der Deutschen Nationaltheater AG wurde eingezogen. Nach dem Krieg zogen die Revuegirls des Friedrichstadt-Ensembles in das Gebäude, das 1985 abgerissen werden mußte. Mit der nun greifenden Restitution platze das Investitions- Projekt „Haus Dänemark“ der dänischen Hojgard-Gruppe.
Nach den glanzvollen Zeiten früherer Tage ist es schwer, die Dinge nüchtern zu betrachten. Der Schauplatz zwischen dem Berliner Ensemble, der Spree und traditionellen Wohnbauten erforderte vielmehr, daß eine neue Architektur sich in den heterogenen und historischen Bestand einbindet, nicht zuletzt darum, um den Ort nicht zur Bühne von Investoren werden zu lassen. Der Eisenman- Entwurf würde die vorgesehene Planung für das Umfeld auf den Kopf stellen, erinnert Schlichting. Der städtebauliche Entwurf (1993) der Architekten Johanne und Gernot Nalbach für den Bereich des Bahnhofs Friedrichstraße knüpft mit kompakten Blockrandbebauungen und Traufhöhen an die Struktur der Friedrichstadt an.
So kleinmütig der städtebauliche Plan ist, so übermütig, ja megaloman gibt sich der Eisenman- Entwurf. Seine monumentale Dimension und die fünffache Ausbeutung des Grundstücks verkleinerten die Umgebung, der Bogen- Koloß machte aus den angrenzenden Wohnbauten zwergenhafte Kulissen. „Wir werden uns dem Gespräch nicht verweigern und der kritischen Diskussion stellen“, räumt Claus Dehmke ein. Den Entwurf will er aber vorerst nicht aufgeben. Vielleicht findet man einen Kompromiß: weniger hoch, weniger gewaltig und stadtverträglicher. Auf dem Grundstück gegenüber plante 1921 Mies van der Rohe ein Hochhaus. Keiner anderen Stelle in Berlin hätte ein Hochhaus als Zeichen der Großstadt, als Akzent so gut getan wie am Bahnhof Friedrichstraße. Noch ist es frei. Rolf Lautenschläger
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