Notruf von der Telefonseelsorge

■ Sozialprojekte funken Miet-SOS

Nicht wenige Sozialprojekte ordern derzeit unfreiwillig den Möbelwagen. Sie müssen umziehen, weil sie die steigenden Mieten nicht mehr bezahlen können. Ein Sprung auf das Dreifache des ursprünglichen Zinses ist dabei durchaus keine Seltenheit.

Bereits seit Jahresbeginn ist das Arbeitslosenzentrum der Urania unter neuer Adresse in der Friedrichshainer Helmerdingstraße zu finden. „Wir konnten die 3.500 Mark Kaltmiete für die Räume in der Waisenstraße in Mitte nicht mehr aufbringen, weil zur selben Zeit zwei ABM-Projekte ausgelaufen waren und damit weniger Fördermittel flossen“, erklärt Mitarbeiter Siegfried Krischok. Als der private Vermieter endlich einlenkte, waren „alle Messen gesungen“. Für sein neues Domizil hat der gemeinnützige Verein rund 2.100 Mark – allerdings Warmmiete – auf den Tisch zu legen.

Einer drastischen Mieterhöhung mußte auch die Telefonseelsorge in der Charlottenburger Jebensstraße Tribut zollen. Wurden früher als Bonus für die soziale Arbeit nur 2.000 Mark verlangt, so sind es nun „ortsübliche“ 6.150 Mark. Darüber hinaus fordert das Bundesvermögensamt als Vermieter rückwirkend für eineinhalb Jahre eine Nachzahlung von 73.400 Mark. Den Mitarbeitern blieb keine Wahl: Sie kündigten den Mietvertrag und ziehen im Mai nach Neukölln in ein Jugendheim der Nikodemus-Kirchengemeinde. Dort beträgt die Miete weniger als die Hälfte der jetzigen. Dennoch sind damit nicht alle Probleme aus der Welt, meint Seelsorgerin Sonja Müseler. Sollte nämlich die Nachzahlung nicht abgewendet werden können, bleibt der Umzug auf der Strecke. „Weder dafür noch für den Umbau des künftigen Quartiers haben wir dann das Geld“, erklärt die Diplom-Psychologin. Die Mitarbeiter hoffen noch auf einen positiven Ausgang der Verhandlungen.

Sorgenvoll schauen auch die 80 Mitarbeiter der vom DRK getragenen Sozialstation am Britzer Damm in Neukölln in die Zukunft. Erst kürzlich flatterte ihnen die Botschaft ins Haus, daß sie nach Auslaufen des alten Mietvertrages ab Oktober dieses Jahres statt bisher acht Mark 26 Mark Kaltmiete pro Quadratmeter zahlen sollen. „Wir sind noch auf der Suche nach einem neuen Objekt“, sagt die Neuköllner DRK-Kreisgeschäftsführerin Jutta König. Das sei aber besonders kompliziert, da die Einrichtung in ihrem bisherigen Einzugsgebiet bleiben muß. Betreut werden 400 Patienten im Alter von 75 bis 90 Jahren, die auf ständige Haus- und Hauskrankenpflege angewiesen sind.

Hans-Jürgen Reinicke vom Paritätischen Wohlfahrtsverband Berlin kennt Klagen dieser Art nur zu gut. Vier aktuelle Beispiele liegen dem Bereichsleiter soziale Dienste derzeit auf dem Tisch. Von der Mietpreiskeule betroffen sind unter anderem ein Frauensuchtprojekt und zwei Eltern-Initiativ-Kitas. Auch der SOS-Ruf der Telefonseelsorge ist bei ihm aufgelaufen. Diesen Fall nennt Reinicke einen „Skandal“, weil hier der Bund als „unverschämter Preistreiber“ auftritt.

Vor allem kleine Vereine haben es derzeit sehr schwer. 20 Mark pro Quadratmeter kalt sind laut Reinicke das Höchste, was die Projekte aufbringen können. Leider gebe es aber nur „wenige Vermieter mit großem Herzen für soziale Probleme“. Einen Ausweg sieht er eigentlich nur darin, daß der Paritätische Wohlfahrtsverband selbst Grundstücke erwirbt und dann an „seine“ Vereine vermietet. Ein solcher Versuch war erst kürzlich von Erfolg gekrönt: Der Dachverband kaufte eine Fläche in Mitte, auf der ein Haus der Parität entstehen soll. Christina Schultze (ADN)