Village Voice
: Keine Schweinereien

■ Sauber-Pop mit Nikko & The Passion Fruit

„Da draußen geht der Popkrieg ab, und ihr müßt euch bekennen“, so steht es in dem üppigen Waschzettel zu der Platte „Bird in a cage“ von der Berliner Band Nikko & The Passion Fruit. Es handelt sich dabei um ein Statement ihres englischen, im Pop-Boulevard-Jargon geschulten Produzenten. Und wer möchte sich da nicht bekennen und hurtig auf den Schlachtfeldern des Pop mitmischen? Wer möchte sich da nicht an die Instrumente peitschen lassen?

Nikko und seine Mannen haben es getan – mit dem Ergebnis ihres ersten Albums, einer Platte, die aus allen Rohren „Popgranaten“ auf die ehemaligen „Frontstädter“ abschießt. „Feuer frei“ geben die Produzenten, Plattenfirmen und all die, denen etwas an dieser Band liegt.

Tatsächlich geht es nur um Musik, und zwar um das erneute Debüt des Lokalszenisten Nikko Weidemann. Dieser musiziert schon seit gut einem Jahrzehnt in dieser Stadt, war Anfang der Achtziger quite avantgardistisch Mitglied des 1. Futurologischen Kongresses und anderer experimenteller Sci-Fi-Vereinigungen, bis ihn ausgerechnet das Hörerlebnis eines Tim-Buckley-Songs dazu bewegte, den Experimenten abzuschwören und sich an konventionelle Musikformen zu koppeln. Nikko wollte ein wenig in Krisenmanagement machen, es waren schließlich schwere Jahre und die Pop-Rezession in England nahm bedrohliche Ausmaße an.

Also gründete Nikko die Band Mad Romeo, damals smashing und sensationell, und die ließ mit ihrem weißen Soul sämtliche Popfans in der „Frontstadt“ und auch anderswo schier aus dem Häuschen geraten. Those were the days, my friend...Doch Erfolg macht ja bekanntlich knorrig, nervös, unentschlossen und man landete in künstlerischen Sackgassen.

Die Kurve daraus hat unser Held rechtzeitig bekommen, surft jetzt mit der „Passion Fruit“ in wohlig-warmen Gefilden, nennen wir sie Mainstream, und die Welt liegt ihm zu Füßen. Es geht, wie gesagt, um sehr kämpferisch angepriesene Popmusik, wobei aber sauberer, ätherischer Wohlklang gemeint ist. Wie bei Mad Romeo, diesmal bloß „echter“ und handgemachter und wohl soetwas wie „ehrlichen Rock-Pop“ meinend.

Eine Rockmusik, der man Schweiß und Arbeit nicht anhören soll, obwohl Ambitioniertheit und die Sehnsucht nach guter deutscher Wertarbeit in jedem Ton mitschwingen, die Melodien stimmen und die Instrumente so vor sich hinpluckern. Bloß keine Ausreißer, kein Glitter, kein Glamour oder andere Schweinereien.

Natürlich fehlen auch Keyboard und Percussion nicht, aber dezent, dezent. Ordentlich wird an jedem Song gefeilt, und zwangsläufig stellt sich der Mehrwert des zwanzigmaligen Wiederhörens ein, rutschen die Songs rein und wieder raus, ganz so, wie eben auch die heavy radio rotation funktioniert. Dann tauchen plötzlich die Impressionen von träge dahingedämmerten Nachmittagen auf, mit der NDR- 2-Service-Welle im Hintergrund. Schlaue Spiel- und Ratesendungen mit Carlo von Tiedemann, Sport und Musik, die Plattenkiste.

Und man weiß, da paßt der „Bird in a cage“ wunderbar hinein, als laues, niemandem etwas abforderndes Musikgeplänkel, kein Schmerz, kein Leid, kein Futterneid. Aber: was soll man sagen? Schließlich landeten da auch die Beatles, oder, in etwas jüngerer Zeit, Prefab Sprout – Gesellschaft, die sich sehen lassen kann, Gesellschaft, der Nikko und seine Passion Fruit sicher einiges abgewinnen könnten.

Wieder mal nicht der Berliner (Pop-)Weisheit letzter Schluß. Gerrit Bartels

Nikko & The Passion Fruit: „Bird In A Cage“ (Polydor)