: Urlaub im Jahr 2014: Fit For Gun
Nach dem gemütlichen Abenteuerurlaub der achtziger und dem Katastrophentourismus der neunziger Jahre boomt heute der blanke Terror-Tourismus. Eine Urlaubsform, die beachtliche Kreativität fordert ■ Von Rüdiger Kind
Anschläge auf Touristenbusse in Ägypten, Sprengung von Ferienhäusern auf Korsika und Touristenmorde in Florida: was anno 1994 Schlagzeilen machte und die Buchungszahlen in den Keller sacken ließ, kann heute, im Jahre 2014, höchstens noch deckchenhäkelnden Ladies eine Gänsehaut verschaffen. Die Morde im Orient- Expreß waren nur der laue Vorgeschmack auf die Terror-Hochsaison des 21. Jahrhunderts. Drittweltländer, deren Volkswirtschaften zu 90 Prozent von Tourismuseinnahmen abhängen, arbeitslose Bevölkerungsmassen, die für den Bau immer größerer Urlaubs- Ghettos zwangsumgesiedelt werden und die schwerbewachten Luxushotels nur durch den Maschendraht der Hochsicherheitszäune kennen, bilden den sozialen Sprengstoff, der sich immer öfter mittels echten Sprengstoffs entlädt. Und Touristen, deren Equipment dem Warenlager eines mittleren Videomarktes entspricht, tun das ihrige, den Scharfschützen der Anti-Tourismus-Terroristen eine lohnende Zielscheibe abzugeben.
Der drastisch erhöhte Risikofaktor des Reisens gibt aber auch Legionen von gelangweilten Wohlstandsbürgern Gelegenheit zum ultimativen Thrill. Der Terror-Tourismus ist das boomende Nischenangebot der Branche. Rainer Müller, Geschäftsführer von „Tortour“, einem auf krisensichere Krisengebiete spezialisierten Reiseveranstalter aus Bad Kreuznach, kann sich vor Anfragen für sein „Fit for Gun“-Programm kaum mehr retten. „Wer anno 94 bei der Bosnien-Trophy dabei war, wer 2008 beim Überlebenstraining in Tschernobyl durchkam, der will im Jahr 2014 doch nicht plötzlich am Strand von Waikiki versauern. Der nimmt in den heißesten Wochen des Jahres schon auch mal eine kleine Schießerei in Kauf.“ Für seine Klientel hat er Package- Touren zusammengestellt, die den Adrenalinspiegel der Erlebnisgeneration auf einen ganz neuen Level heben:
– Freeclimbing im Land der Pharaonen. Für den ambitionierten Freeclimber wurden vom ägyptischen Tourismusministerium jetzt endlich die Sphinx von Gizeh und Abu Simbel freigegeben. Diese traditionsreichen Kletterreviere bieten neben höchsten Schwierigkeitsgraden auch Kulturgeschichte zum Anfassen. Besonderer Nasenkitzel: Die Islamistische Freiheitsfront hat einige Überhänge mit Niespulver präpariert.
– Aztek-Trophy. Chiapas-Country im Süden Mexikos mit seinen subtropischen Dschungeln und wildromantischen Schluchten bildet die malerische Kulisse für die härteste Rallye der Welt. Eine der letzten Herausforderungen für Mensch und Maschine, die durch einige besonders pfiffig ausgelegte „Sonderprüfungen“ der Zapatisten-Streckenposten zusätzlichen Reiz gewinnt.
– Russisch Roulette. Rußland hat sich in den letzten Jahren zu einem Premium-Urlaubsziel mit besonders günstigem Preis-Leistungs- Verhältnis „gemausert“. Dies ist durchaus wörtlich zu nehmen, denn nirgendwo sonst sind so viele der legendären Schußwaffen im täglichen Gebrauch. Ob bei der Zobeljagd in Sibirien oder beim Kaviardosenschießen am Kaspischen Meer, das belebende Knallen der Faustfeuerwaffen ist stets mit von der Partie. Und da auch der Russe ein leidenschaftlicher Schütze ist, ist hier praktisch jeder Schuß ein Treffer.
Der Selbsterhaltungstrieb der touristisch Heimgesuchten läßt sie manches Mal Gegenstrategien entwickeln, die von beachtlicher Kreativität zeugen: Als ein Bankangestellter aus Eisenach während seines Golfurlaubs in Bangladesch beim Einputten auf eine Tretmine trat, fand er die anschließende Beinamputation samt Krankenhausaufenthalt im 40-Bett-Zimmer „im Endeffekt dann doch nicht so trendy“. Was er nicht wußte – er lag wirklich voll im Trend. Laut Statistik des Starnberger „Interessenverbands der Angehörigen von Tourismusopfern“ liegt die finale Trefferquote derzeit bei 1 : 280, das heißt, für jeden 280. Urlauber war es die letzte Reise. Leichtere Fälle wie Schußwunden oder Folterschäden bleiben bei den Berechnungen natürlich unberücksichtigt, da sie zu zahlreich auftreten. „Kalkuliertes Risiko ist alles in unserer Branche“, versichert denn auch Rainer Müller von „Tortour“. Daß neben denjenigen, die gezielt den Nervenkitzel suchen, auch die Hauptgruppe der Pauschalurlauber zunehmend ins Visier der militanten Tourismusgegner gelangen, mußte jüngst ein 55jähriger Elektromeister aus Minden erfahren. Als er im Casino eines südchinesischen Massage-Kombinats mit „seinem“ zwölfjährigen China- Girl gerade einen Banana-Split verzehren wollte, detonierte eine unter der Schokoglasur geschickt versteckte ferngezündete Minibombe und löschte auf infame Weise ein unschuldiges deutsches Sextouristenleben aus.
Doch nicht nur gewöhnliche Pauschalreisende kommen immer häufiger vor Kimme und Korn aufbegehrender Ureinwohner, selbst bildungsbeflissene Studienreisende werden nicht mehr geschont: Als Oberstudienrat Herbert Gehr aus Leinfelden mit seiner bildungshungrigen Reisegruppe eine palästinensische Gemüsefarm im Gaza-Streifen besichtigte, wurde ihm am Verkaufsstand anstelle einer Avocado eine täuschend ähnliche Eierhandgranate in den Einkaufskorb gelegt. Beim anschließenden Picknick, als er die fetthaltige Frucht schälen wollte, entfaltete die vermeintliche Cholesterinbombe eine eher pyrotechnische Wirkung und hinterließ beim verdutzten Pädagogen einen schalen Nachgeschmack. Vom Krankenbett, an das er vier Wochen mit amputiertem rechten Arm gefesselt war, buchte er trotzdem schon seine nächste Studienreise: nächstes Jahr soll es zum Wandern ins Thüringische gehen.
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