: Hat der Kapitalismus Zukunft?
■ Robert Heilbroner fordert keynesianistisches Programm für US-Wirtschaft
Die Welt ist voller Umbrüche, und wir alle warten ziemlich gespannt darauf, wie es weitergeht. Da kommt ein Buch über den „Kapitalismus im 21. Jahrhundert“ gerade recht. Der Autor Robert Heilbroner lehrt in New York Ökonomie und gilt als einer der führenden wirtschaftswissenschaftlichen Häretiker der westlichen Welt.
Die Erwartung steigt, wenn man sich Umfang und Ausmaße der im Titel des Buches selbst auferlegten Thematik vorzustellen versucht. Zwar rückt der Beginn des 21. Jahrhunderts immer näher, doch innerhalb der dann folgenden hundert Jahre kann recht viel geschehen – wie die jetzt ablaufende Periode zeigt. Auch deutet die Bezugnahme auf den „Kapitalismus“ als Gesellschaftssystem an, daß sich der Autor nicht auf rein ökonomische Aspekte beschränken zu wollen scheint.
Doch nur 140 Seiten Text umfaßt das großzügig bedruckte Büchlein. Die Erwartungen sinken wieder; zu mehr als einer groben Skizze der näheren Zukunft dürfte der geringe Raum wohl nicht ausreichen. Aber selbst diese Annahme wird enttäuscht. Der ambitionierte Titel ist ein Etikettenschwindel. Heilbroner hat nicht mehr verfaßt als eine subjektive und relativ zeitlose Bilanz der Vor- und Nachteile einer marktwirtschaftlichen Ordnung.
Ökonomische Reize und Konkurrenz führen, so Heilbroner, zu überlegener Innovationsfähigkeit. Als Schattenseiten sieht er den Hang zur Monopolbildung und die Krisenhaftigkeit der Entwicklung, auf die der Markt oft (gerade in Erwartung schlechter Zeiten) dysfunktional reagiere. Auch negative „externe Effekte“ wie die Umweltverschmutzung könne der Markt nicht selbsttätig verhindern. Ausgiebig kommen die Klassiker zu Wort, Adam Smith, Karl Marx und John Maynard Keynes, hin und wieder angereichert durch psychoanalytische Einsprengsel.
Das Buch endet (abgesehen von einem nebulösen Epilog) mit der keynesianistischen Forderung nach staatlicher Nachfragestützung durch Investitionsprogramme. In einem lediglich auf die USA bezogenen Vorschlagspaket fordert Heilbroner, die Krisenhaftigkeit der Marktwirtschaft durch „Lösungen aus dem öffentlichen Sektor“ abzumildern. Finanzieren will er die staatliche Wachstumsförderung durch Kreditaufnahmen und Steuererhöhungen. Kaum anzunehmen, daß dies in den Vereinigten Staaten (mehr als fünfzig Jahre nach John M. Keynes' Hauptwerk) als origineller Vorschlag durchgeht!
Heilbroners Vorbild ist die Bundesrepublik und ihre korporatistische Ausprägung der Sozialpartnerschaft. Dieses im Abbau befindliche „Modell Deutschland“ wird sogar als Heilmittel gegen inflationäre Tendenzen des Keynesianismus gepriesen. Vielleicht ist diese etwas weltfremde Deutschlandbezogenheit der Grund, warum der Verlag das Buch so schnell (das heißt schon ein Jahr nach der Veröffentlichung in den USA) auf den deutschen Markt brachte.
Heilbroner liefert weder „Vorhersagen“, über deren Realitätstüchtigkeit man diskutieren könnte, noch Analysen, die das Verständnis der aktuellen Krise erhöhen. Besonders groß ist die Enttäuschung, wenn man in vergleichsweise in ältere Bücher von Heilbroner blickt. „Die Zukunft der Menschheit“ (1978) oder „Der Niedergang des Kapitalismus“ (1977), das waren Bücher, die zum Disput über die mögliche Entwicklung westlicher Gesellschaften herausforderten und heute noch spannender zu lesen sind als sein aktuelles Spätwerk. An dieses wird man im 21. Jahrhundert wohl keinen Gedanken mehr verschwenden. Christian Rath
Robert Heilbroner: „Kapitalismus im 21. Jahrhundert“. Carl Hanser Verlag, 1994, 160 Seiten, 28 DM
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen