: Humanität als Hobby
■ Gesichter der Großstadt: Die kritische Christin Traudl Vorbrodt widmet sich seit vielen Jahren mit aller Kraft ihrem "Hobby", politischen Flüchtlingen zu helfen
Es gibt viele Arten, seine Freizeit zu gestalten, zum Beispiel Orchideen züchten oder Modellflugzeuge bauen. Für Traudl Vorbrodt ist seit 13 Jahren die Flüchtlingsarbeit ihr „Hobby“. Und das meint sie ohne Sarkasmus: „Gerade weil es außerberuflich ist, knie ich mich besonders tief in diese Aufgabe.“ Tagsüber arbeitet die gelernte Kinderkrankenschwester als Arzthelferin in der Praxis ihres Mannes. In ihrer Freizeit kämpft die 55jährige für die Rechte von politischen Flüchtlingen. Und dabei legt sich die Katholikin oft genug mit dem Innensenator an. Gerade zur Zeit muß dem Nordlicht Heckelmann die Bayerin Vorbrodt schwer im Magen liegen. Denn ihr hat der Senator zu danken, daß er bei der Abschiebung der angolanischen Flüchtlinge keinen Vollzug melden konnte. Sowieso ist Vorbrodts Verhältnis zu den Herrschenden, sei es in der katholischen Kirche oder in der Politik, eher gebrochen. „Ich gehe selten in die Kirche, weil ich da Krämpfe kriege.“ Die Diskrepanz zwischen den Inhalten der Sonntagspredigten und dem Alltagsverhalten von Christen sei ihr einfach zu groß. Deswegen arbeite sie auch lieber in der unabhängigen katholischen Friedensorganisation „Pax Christi“. Gerade das Wort „unabhängig“ hat für die energische Frau eine wichtige Bedeutung. „Ich streite einfach zu gerne und kann mich nur schwer unterordnen.“ Deswegen endete auch ein Ausflug in die Parteipolitik schon nach einem halben Jahr.
Mit 15 Jahren war sie Mitglied der Jungen Union in Bayern, aber „nur wegen des europäischen Gedankens“, wie sie versichert. Die ständigen Kompromisse und Versammlungen, die sie nicht interessierten, hätten sie genervt. „Ich bin in einer unabhängigen Organisation, weil alles, was ich tue, ich auch selbst ausbaden und verantworten muß.“ In der Politik wäre das kaum üblich. Ihr gespanntes Verhältnis zur Obrigkeit habe zwei Grundlagen, erklärt Vorbrodt. Zum einen ist da ihr Geburtsdatum: der 20. April, Hitlers Geburtstag. „Das prägt!“ Und dann war da noch ihre Großmutter. Diese organisierte während des Krieges eine Volksküche für Zwangsarbeiter und färbte jüdischen Flüchtlingen die Haare blond. Von ihr hat Vorbrodt eine Lebensweisheit mit auf den Weg bekommen, die sie noch heute beim Umgang mit Politikern oder Verwaltungsbeamten im Hinterkopf hat: „Stell dir doch den armen Tor nackend auf dem Töpfchen vor.“
Unsicher wird Vorbrodt bei der Frage, ob sie ein gläubiger Mensch sei. Sie weiß es nicht, aber auf jeden Fall sei sie „biblisch geprägter“. Die „jungfräuliche Empfängnis“ ist für Vorbrodt ein Konstrukt, und auch an die herkömmliche Form der Unsterblichkeit glaubt sie nicht. „Erst durch die eigenen Werke entsteht die Unsterblichkeit.“ Sie könne ihre Zeit nicht verplempern und auf das Paradies warten. „Ich muß jetzt handeln, wenn Recht zu Unrecht wird.“ Und das geschieht gerade in der Behandlung von Flüchtlingen häufig genug. Politiker gingen rein juristisch mit den Menschen um, aber nicht human, sagt Vorbrodt. Und Humanität bedeutet für sie, nur das zu tun, was dem Mitmenschen nicht schadet. „Aber woher nehmen Verwaltungsbeamte und Politiker die Sicherheit, daß sie anderen durch ihre Entscheidungen nicht schaden“, sagt Vorbrodt wütend. Wie könne man überhaupt entscheiden, jemanden abzuschieben, den man nicht einmal persönlich kennt? Das mache sie stinkwütend. In solchen Momenten wünscht sie dem Innensenator einen Tag lang Durchfall. „Damit er auch einmal so richtig hilflos ist.“
Manchmal gab es Situationen, an denen Vorbrodt alles hinschmeißen wollte. Doch ihre fünf Kinder und ihr Mann hätten sie immer unterstützt. Nur einmal trat sie etwas kürzer, als die jüngste Tochter sagte: „Ich möchte auch ein Tamile werden, weil ich dich dann häufiger sehe.“ Doch jetzt seien die Kinder erwachsen, und sie habe mehr Zeit für ihr Hobby, um „Herrn Heckelmann auch weiter in die Pflicht zu nehmen“. Olaf Bünger
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen