piwik no script img

Der Grüne Punkt, der Müll, die Frauen und die Hausarbeit

■ Wegwerfwindeln belasten die Umwelt / Aber wer wäscht Baumwollwindeln? Wieder mal sind die Frauen schuld ...

Berlin (taz) – Gestern eröffnete das Duale System Deutschland (DSD) eine Jubelbilanz: Mehr als 4,6 Millionen Tonnen gebrauchter Verpackungen seien wieder eingesammelt worden. Jeder Durchschnittsmensch stopfte 56,8 Kilogramm Grüne-Punkt-Material in die gelben Säcke und Tonnen – ein Sammelrekord. Der DSD-Geschäftsführer erwähnte allerdings nicht, wer die Hauptlast dieser Sammelei zu tragen hat – denn Müll und seine Entsorgung ist seit jeher ein Problem, das den Frauen aufgedrückt wird.

In den guten alten Zeiten, gab es noch kein Müllproblem. Müll, das war Asche, Kehricht und ein bißchen Kompost. Keine leeren Marmeladengläser, keine Pampers, keine Spüli-Plastikflaschen, geschweige denn übriggebliebene Kunststoff-Alu-Behälter von Fast- Food-Portionen für die Mikrowelle. Denn in den vielleicht doch nicht für alle so sehr guten alten Zeiten, da hat die selbstverständlich weibliche Seele des Hauses die Marmelade selbst eingekocht und die Gläser vom Vorjahr immer wieder verwendet. Sie hat Baumwollwindeln ausgekocht, schon morgens fing sie mit dem Zubereiten der Mahlzeiten an, später schrubbte sie die Töpfe und Pfannen mit Sand und Soda.

Die berufstätige Frau von heute hat jedoch gar keine Wahl. Die neue Frühstückskonfitüre nimmt sie schnell aus dem Supermarktregal, während das alte Glas oder der Plastikbecher schon im Müll liegt, und abends zaubert sie in fünfzehn Minuten eine Mahlzeit für die ganze Familie. Aber auch den nicht berufstätigen Frauen kann man selbst als überzeugte Umweltschützerin wohl schwerlich wünschen, daß sie zu Großmutters Life-style zurückkehren soll. Die Tendenz geht zwangsläufig zu immmer stärker verarbeiteten Lebensmitteln, die in Miniportionen für den Kleinsthaushalt erworben werden können.

Da haben wir's. Die Frauen sind schuld an den Müllbergen. 1950 noch produzierten die Bundesbürgerinnen und Bundesbürger gemeinsam 190 Kilogramm Müll, jetzt sind es über 350 Kilogrammm geworden. Nach dem Gewicht besteht ein gutes Drittel davon aus Verpackungen, auf das Volumen bezogen sogar die Hälfte.

Schamhaft wird in Umweltschützerkreisen verschwiegen, daß sich umgekehrt auch die meisten Strategien zur Müllvermeidung an die Frauen wenden. Das Einkaufen von Nahrungsmitteln, das Wickeln der Babys (immerhin fast drei Prozent des Siedlungsmülls sind Wegwerfwindeln), das Putzen und nicht zuletzt das Sich-schön-Machen sind Tätigkeiten, die von Frauen erwartet werden; es sind zugleich die Tätigkeiten, an denen sich am ehesten etwas ändern muß, wenn Hausmüll vermieden werden soll.

Auch Abfallverwertung baut vor allem auf Frauenarbeit – wer wäscht schon in den meisten Haushalten die Joghurtbecher mit dem Grünen Punkt aus, die sorgfältiger zu spülen und zu sortieren DSD- Chef Brück gestern anmahnte.

Auch Männer können Flaschen schleppen

Und wer schleppt die Flaschen zum Container, wer sammelt Kartoffelschalen für den Kompost? Und daß viele Frauen sich weigern, Milch und Saft in Mehrwegflaschen zu kaufen, die nicht nur teurer sind als die in Tüten abgefüllten Getränke, sondern auch noch viel mehr wiegen und obendrein zum Laden zurückgeschleppt werden wollen – wer kann es ihnen verdenken?

Es ist langsam an der Zeit, daß sich die UmweltpolitikerInnen wie auch die Umweltbewegten klarmachen, auf wessen Rücken ihre Forderungen umgesetzt werden müssen. Neue Modelle sind gefragt. Um Frauen von Hausarbeit zu entlasten, anstatt ihnen mehr Arbeit zu machen, sind zum Beispiel Bringdienste zu fördern. In einzelnen Städten gibt es seit kurzem Windeldienste. In den alten Bundesländern landeten 1991 fast 400.000 Tonnen Wegwerfwindeln im Müll, die Wagenladungen von 27.000 Müllfahrzeugen – eine Menge, die ohne weiteres vermieden werden könnte. Dienstleistungsunternehmen bringen einfach frisch gewaschene Baumwollwindeln zu den Familien, holen die gebrauchten Windeln ab, waschen und desinfizieren sie.

Die Kosten für diesen Service entsprechen etwa denen von Wegwerfwindeln. Ein anderes Beispiel für Bringdienste sind Getränkehändler, die Bier, Selters und Saft in Mehrwegflaschen ins Haus liefern und die leeren Flaschen wieder mitnehmen.

Durch die Transporte und durch das Waschen der gebrauchten Windeln beziehungsweise Flaschen entstehen zwar zusätzliche Umweltbelastungen. Doch scheinen die Modelle immer noch günstiger als das Modell Wegwerf- Produkt, denn bei letzterem entsteht nicht nur mehr Müll, sondern schon bei der Produktion werden mehr Rohstoffe und Energie verbraucht.

Die Alternative, alles selber zu Hause machen, ist zwar sicher noch umweltfreundlicher. Aber Frauen, an denen das in den meisten Fällen hängenbliebe, wären schön blöd, wenn sie sich diese Art von Umweltschutz verordnen ließen. Nicola Liebert

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen