■ Die taz, ein Aufruf und unterschlagene Unterschriften
: Verfälschung der Tatsachen

In der gestrigen Frauenausgabe der taz erschien ein internationaler Aufruf von über hundert SchriftstellerInnen, WisschenschaftlerInnen und JournalistInnen gegen den Krieg in Ex-Jugoslawien. Abgedruckt wurden ausschließlich Unterschriften von Frauen. Unterschlagen wurde, daß auch Salman Rushdie, Juan Goytisolo, Eugène Ionesco, Simon Wiesenthal, Karl Popper, Stanislaw Lem, Octavio Paz, Jorge Semprún u.v.a. Männer den Aufruf unterzeichnet haben. Unterschlagen wurde, in blindem Übereifer, auch eine betroffene und engagierte Frau: Fadila Mimešević vom „Zentrum für Dokumentation von Kriegs- und Genozidverbrechen“ in Zenica (Bosnien).

Eine solche Verfälschung der Tatsachen ist unerträglich. Es ist eben kein internationaler Frauenaufruf. Den UnterzeichnerInnen ging es nicht um geschlechtsspezifisches Engagement, sondern darum, daß hunderttausende Frauen, Männer und Kinder aus akuter Lebensgefahr befreit werden. Es ist reaktionär, aus dem Kampf um Frauenrechte ein Partikularinteresse zu machen und dem die Wahrheit und das Engagement für andere genauso wichtige Ziele opfern.

Der Schaden ist erheblich. Die Botschaft von Salman Rushdie an die Bosnier wurde unterdrückt, weil Salman Rushdie keine Frau ist. Es wurde verhindert, daß Marek Edelmann als letzter überlebender Kommandant des Warschauer Ghetto-Aufstandes öffentlich dafür eintreten kann, daß der rassistischen Gewalt im ehemaligen Jugoslawien nicht tatenlos zugeschaut wird. Nicht öffentlich wurde, daß Günter Grass, über dessen Schweigen viele Intellektuellen in Sarajevo enttäuscht waren, jetzt endlich Position bezieht. Die Philosophen Karl Popper, Bernard-Henri Lévy und André Glucksmann durften, weil sie Männer sind, in der taz dem Aufruf die Durchschlagskraft nicht verleihen, die er benötigt. Die Menschen in Bosnien haben zwei Jahre darauf gewartet, daß die europäischen Intellektuellen ihre Stimme erheben. Gerade in Deutschland hatten sich bisher ganz wenige engagiert. Jetzt hat die taz dazu beigetragen, die neuen Stimmen zu ersticken.

Das Verhalten der Redakteurinnen in der taz ist symptomatisch für den Zustand eines großen Teils der deutschen Linken. Wieder einmal ist von denen, die meinen auf der richtigen Seite zu stehen, nicht verstanden worden, um was es überhaupt geht. Es geht sowohl bei der durch Durchsetzung von Frauenrechten wie auch bei der Verhinderung von Krieg und „ethnischen Säuberungen“ im ehemaligen Jugoslawien nicht um Gruppeninteressen. Es geht um die Durchsetzung von universellen Menschenrechten. Martina Kirfel

Journalistin und Mitorganisatorin des Aufrufs