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Nur Offenheit hilft gegen Vorurteile

■ Cohn-Bendit und Anetta Kahane diskutierten über alte und neue Vorurteile

Was die Deutschen tun, das führen sie mit ungeheurer Konsequenz durch – das gilt gerade auch für links- und rechtsextreme Gewalt. „Deutschland ist nicht ausländerfeindlicher als Frankreich“, hob Daniel Cohn-Bendit immer wieder hervor; aber die „tödliche Treffsicherheit“ sei einzigartig.

Eine tödliche Treffsicherheit

Diese Aggressivität gegen das Fremdartige ergebe sich einerseits aus der Nichtbewältigung der deutschen Vergangenheit, so Cohn-Bendit in der von der jüdischen Volkshochschule zu Berlin veranstalteten Diskussion „Ossis, Ausländer, Wessis und Radfahrer oder Alte Vorurteile prüfen, neue gestalten“ am vergangenen Mittwochabend.

Entscheidender sei jedoch die Unglaubwürdigkeit der Politik: „Die deutsche Gesellschaft lebt in einem Konsens der Verlogenheit.“ Seit langem hätten die Politiker Angst davor, die Arbeitsimmigranten nicht mehr als vorübergehende Erscheinung darzustellen. Es habe ihnen an Mut gefehlt, Deutschland als Einwanderungsland darzustellen, in dem die Ausländer den Erhalt unseres Wohlstandes erst ermöglichten.

Nur mit Ehrlichkeit könne den Ängsten der Bevölkerung vor materiellen Entbehrungen begegnet werden, um einer Projektion des Unmutes auf die Ausländer entgegenzuwirken, vertrat Cohn-Bendit. Er gestaltete die Diskussion mit seiner Beretsamkeit über weite Strecken zu einer Ein-Mann-Performance der ganz persönlichen Art. Weit weniger zu Wort kam dagegen in der von rund 150 Personen besuchten, teilweise polemischen Diskussion im Otto-Braun- Saal der Staatsbibliothek Anetta Kahane, Ausländerbeauftragte des Landes Brandenburg.

Gerade in den neuen Bundesländern sei für eine Veränderung der Menschen eine politische Offenheit wichtig. Die Menschen ständen dort dem Verfall gesellschaftlicher und normativer Strukturen relativ hilflos gegenüber, so Anetta Kahane. Die scheinbare Stabilität der DDR sei einem Vakuum gewichen, in dem sich die Menschen nur schwer wiederfänden. Alles bisher gewohnte sei plötzlich wertlos. Vielen Gestrandeten bleibe als einziger Eckpfeiler die Überbewertung des Merkmales „deutsch“.

Einheitsgrau-Stimmung stärker differenzieren

Nach jahrzehntelanger Isolation sähen sich die „Ossis“ mit den andersartigen Westdeutschen und den fremden Immigranten konfrontiert, was viele überfordere. „Man stellte den Menschen in der DDR eine positive Vorstellung des Kapitalismus gegenüber, die in der Realität keine Entsprechung fand“, deutet Cohn-Bendit die Schwierigkeiten vieler Ostdeutscher bei einer Neuorientierung.

Die Einheitsgrau-Stimmung in den neuen Bundesländern stärker zu differenzieren, sei eine Voraussetzung für mehr Eigeninitiative der BürgerInnen. „Erst wenn die Menschen zufriedener mit ihrem Dasein werden, kann ein Austausch zwischen Deutschen und Ausländern gelingen“, so Anetta Kahane. Aus der Unkenntnis des Fremden erwachen Vorurteile, die durch Basisarbeit an Schulen oder in Jugendclubs überwunden werden könne.

In Westdeutschland hingegen erfordere der ständige Kontakt mit ausländischen Jugendlichen eine multikulturell orientierte Pädagogik, sagte Daniel Cohn-Bendit. Für Lehrer bedeute das, intensivere Versuche der Integration zu unternehmen.

Schon jungen Deutschen müsse klarwerden, daß auch Immigranten ein fester Bestandteil ihres Staates sind. Christine Schiffner

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