Der Mensch als Road Movie Von Claudia Kohlhase

Soll man eine Reise tun, bloß weil man was erzählen will? Oder sonst nichts hat? Zum Beispiel diese Schlange an der Grenze, wo dieser eine Kleinlaster mit diesem total verbiesterten Mann am Steuer immer rechts an uns vorbei wollte, obwohl da gar kein Platz mehr war – soll man so was erzählen wollen? Oder diese Baracke mitten in der Pampa, mit diesem unglaublichen Klo, so was will doch keiner hören, also daß das Klo so desinfiziert war, daß einem innerlich ganz ausgeräuchert wurde.

Oder diese Landstraße zwischen Kozalin und Stupsk, als auf einmal dieser Nebel kam und dann auch noch die Nacht und dieser Laster in dieser einen Kurve. Und ich sag' noch, paß auf, die Kurve. Gott sei Dank ist nichts passiert, aber wen interessiert das schon und vermutlich sogar zu Recht. Oder dieses alte Grand Hotel in Sopot, wo soviel alter Schnee lag zwischen uns und der Ostsee und dieses wunderhübsche Zimmer frei war; mit diesem gewissen Blick auf dieses Meer und mit diesem Fernseher, in dem wir mitten in Polen Gottschalk gesehen und über ihn gelacht haben, so was muß man sich mal vorstellen, also wenn das jemand interessieren sollte. Oder diese Aschenbecherentleererin mit diesem vollen Gesicht in diesem verplüschten Entree und dieses Hühnerfrikassee, das aber komischerweise am Stück war und von dieser enorm seltsamen Soße umrahmt. Oder dieser eine Kellner, der vor Eile fast aus seinem Jäckchen platzte, und diese Zwei- Mann-Combo in der Ecke, die derart Sinatra drauf hatte, wie noch niemand Sinatra gehört haben dürfte. Oder dieser steckengebliebene Fahrstuhl, in dem vermutlich fast jeder steckengeblieben sein dürfte, der jemals in Polen oder eben im Grand Hotel war, aber dafür dauert's dann auch nicht lange. Oder dieser verfrorene Steg in die Ostsee mit diesen bibbernden Bänken und diesen internationalen Schwänen. Oder diese Straße in Gdansk, wo wir dachten, das darf doch nicht wahr sein, gibt's hier denn nirgendwo was zum Sitzen oder wenigstens Borschtsch? Oder diese Kirche, wo dieser eine Mann kam und wir immer Bahnhof verstanden, obwohl er den Hut meinte.

Und dann dieser verrammelte Kiosk neben diesem offenen Tor in diesem häßlichen Park, durch den niemand ging oder kam. Oder dieser Parkplatz mit diesem rostigen Pförtner und diesem Schild, wo Autohandel draufstand, was wir für einen Parkplatz merkwürdig fanden. Oder diese Teufelsweiber, die Zigeunerinnen waren und uns leider beklauten, was man ja ungern laut sagt, aber es war genau so, wenn nicht noch schlimmer. Oder diese Schneeränder auf meinen Lieblingsstiefeln, weil wieder niemand an Schuhcreme gedacht hat, aber so was gehört ja schon mal gar nicht hierher.

Und dann diese winzig kleinen Streifenwagen an jeder Ecke und diese mannsgroßen Gartenzwerge an jeder Ausfallstraße, die nachts auf einmal Laternen trugen. Oder dieser verschimmelte Käsekuchen in dieser verschimmelten Mitropa- Raststätte mit diesen fünf verschimmelten Rest-Gästen. Oder diese Rückfahrt über die Knesebeckstraße, wo wieder kein Parkplatz war.

Sonst war es in Polen eigentlich ganz nett und auch recht interessant. Bloß ist immer noch offen, warum, wer eine Reise tut, was erzählen soll oder wie genau. Im Grunde könnte da ja jeder kommen.