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Wie im Märchen

Getrieben von Fernweh und Fabulierlust erfinden Andrea Caprez und Christoph Schuler Comics und Songs über die Verlierer des Lebens  ■ Von Thomas Winkler

Wenn einer eine Reise tut... Man kann aber auch Lieder darüber schreiben oder Bilder zeichnen und die mit Text versehen. Oder beides auf einmal. Und es zu zweit tun. So wie Andrea Caprez und Christoph Schuler, Zeichenteam und Musiker der Gruppe Jellyfish Kiss. „Wir waren schon an vielen Orten und sind immer noch viel zusammen unterwegs“, erzählt Caprez von dem Fernweh, das er mit seinem Freund teilt. „Wenn wir in Zürich sind, haben wir weniger Zeit, weil wir produzieren, arbeiten. Woanders kann man einfach rumhängen, rumschauen, sich verlieben. Außerdem ist Zürich langweilig, so wie Düsseldorf oder Münster auch langweilig sind. Es ist nicht so, daß wir uns Zürich verweigern, aber die fremden Orte haben uns eher angetörnt. Und zu Hause wird das dann realisiert.“

Die Mitbringsel nehmen die Form kleiner Moritaten an. Mal als Song der Gruppe Jellyfish Kiss, mal als Comic des Duos Caprez/ Schuler. Mal entsteht aus einem Song eine Bildgeschichte, mal umgekehrt, mal nicht. Aber immer schreibt Schuler die Texte, ob in Englisch für die Lieder oder auf Deutsch unter die Bilder, die Caprez zeichnet, wenn dieser nicht gerade bei Jellyfish Kiss singt oder Gitarre spielt.

Die Geschichten der beiden kommen zustande „wie in einem Pingpong-Spiel“: Da ist eine Idee, der andere erweitert sie ein bißchen, noch eine Wendung und wieder zurück, ein kleines Detail, das wieder verworfen wird. Geschichten wie die von „Adrian, The Ant“. Ein herzerweichendes Rührstück um einen Kleinkünstler, der als Ameise verkleidet auftritt und schließlich – weil alles so kommen muß, wie so etwas eben kommen muß – Rolle und Realität nicht mehr unterscheiden kann. Oder auch das Lehrstück vom Polizisten Johannes Limbowski, genannt „Limbo-Joe“, der die erschreckende Durchschnittlichkeit seines Lebens dadurch beendet, daß er seine Familie inklusive Nachbarn ins Jenseits befördert. Die Geschichten von Caprez/Schuler spielen meist woanders und enden so gut wie immer schauerlich. Eben nicht grausam oder brutal, sondern – ganz im altmodischen Sinne – schauerlich. So wie die Hexen im Märchen.

Obwohl Jellyfish Kiss bereits seit 1989 existieren und Caprez/ Schuler sich schon lange vorher als Comic-Autoren einen Namen gemacht hatten, wurde erst jetzt die doch sehr naheliegende Idee verwirklicht, die beiden Medien direkt zu vernetzen. Die Idee dazu entstand nun nicht in Zürich, sondern in Paris, wo die beiden dank eines Stipendiums ihrem Fernweh nachhängen durften. „Luna Hotel“ ist eine CD mit 15 Stücken. Und „Luna Hotel“ ist auch ein Comic-Band mit fünf Geschichten. Es gibt Comics, die die gleichen Namen tragen wie Songs, aber „wir wollten nichts so Belastetes wie zum Beispiel eine Comic-Oper machen, wo die Geschichten und die Lieder sich 1:1 verhalten. Wir wollten ein Thema und einzelne Querbezüge.“

Daß Caprez/Schuler und mit ihnen Jellyfish Kiss irgendwann im Hotel landen würden, war nur logisch. Nirgendwo sind die kleinen absurden Begebenheiten, die sie erzählen, problemloser zu plazieren als dort: Die Figuren brauchen weder Vorgeschichte noch Zukunft. Und absurde Charaktere sind in einem Hotel nie fehl am Platz. Das erspart im Song das zeitraubende Beschreiben eines passenden Ambiente und gibt im Comic alle Möglichkeiten für visuell attraktive Hintergründe: vom modernen Motel mitten im Nirgendwo bis zum altmodischen Prunkhotel Venedigs. Das Hotel ersetzt das die Phantasie befördernde „Es war einmal“ des Märchens. Was nicht bedeuten muß, daß die Märchen von Caprez und Schuler notwendigerweise auf einen aktuellen Bezug verzichten. Anfang der 80er Jahre allerdings hielten sich die Bildergeschichten der beiden noch näher an der Realität und begleiteten die Züricher „Anarcho-Sponti-Szene mit Agitprop-Comics“. Doch ihr Stil hat sich gewandelt, Caprez nennt das Fabulieren: „Wir wollen nicht Geschichten erfinden, wir wollen Tatsachen übersteigern. Insofern wollten wir comichafter werden, als wir es früher noch waren. Aber es ist nicht wirklich unpolitisch, was wir machen. Unsere politische Haltung wird schon deutlich, aber die Message ist sicher nicht das Zentrale. Das Zentrale ist die Lust am Fabulieren, ist die Lust, gesellschaftliche, politische und persönliche Vorgänge in einer überspitzten Form darzustellen.“ So wie in „Fettaugen“, einer Geschichte aus dem Comic-Band. Da mutiert eine übertriebene Sehnsuchtsschmonzette völlig überraschend zu einer Anklage gegen Fremdenhaß.

Andrea Caprez zeichnet diese Geschichten in einem auf den ersten Blick groben, holzschnittartigen Stil. Jedes der Einzelbilder könnte auch für sich stehen, die Texte von Schuler finden sich darunter niedergeschrieben und nicht in störenden Sprechblasen. Die gesamte Konzeption erinnert an die Schaubilder altehrwürdiger Moritatenerzähler vom Jahrmarkt. Caprez entwirft Hintergründe wie im expressionistischen Film, aber löst die Bedrohlichkeit der starren Gesichter und steil aufragenden Häuserwände oft durch eine warme Farbgebung wieder auf. Manche der Fratzen, die erscheinen, könnten auch von Käthe Kollwitz sein, doch bei Caprez/Schuler weiß man immer, daß man sich in einem Märchen befindet. Und wie im Märchen kommt die Moral- von-der-Geschicht immer erst zum Schluß und endet zumeist blutig.

Die Musik zu den Geschichten entwickelt die Band Jellyfish Kiss. Caprez legt großen Wert darauf, daß die Sechs eine Band sind, auch wenn der Verdacht, ein diktatorisches Autorengespann halte sich ein paar Studiomusiker, naheliegt: „Die Musik, wie sie heute klingt, hat diese Band erarbeitet.“ Diese Band, die eine klassische Vorgeschichte, aber einen obskuren Kristallisationspunkt hatte. Caprez schrieb Songs für den Film „Dreißig Jahre“ von Christoph Schaub. Dazu aktivierte er Kontakte aus seinen Hausbesetzer-WGs und befreundeten Bands. Und als Texter eben auch seinen Comic-Partner Schuler. Die Lieder, die dabei entstanden, fanden soviel Anklang im Freundeskreis, daß man fast zur Gründung der Band genötigt wurde. Noch ein paar alte Verbindungen aufgewärmt, und Jellyfish Kiss waren komplett. Im Keller fand sich überdies noch eine vor Urzeiten ausgeliehene und nie wieder zurückgegebene akustische Baßgitarre, die der Ex-Liebe Anna-Maria umgehängt wurde.

Fortan vertonte man Schulers makabre Moritaten mit einer manchmal derben, doch meistens fast schon zu einfühlsamen Mischung aus allerlei Volksmusiken von – natürlich – möglichst fremden Orten. Es fand sich viel Cajun, etwas Walzer, auch mal Polka, immer wieder schlichter Gitarrenpop und vieles mehr, was die ausgedehnten Reisen eben hergaben. Eine weniger musikalische als geistige Verwandtschaft sieht Caprez zu Bands wie den Pogues oder Les Negresses Vertes, weil man sich ähnlich „undogmatisch um Volksmusik kümmert“, aber gekannt habe man die anderen, als man selbst anfing, noch nicht. Direkt inspiriert oder beeinflußt wurde er eher von „jiddischer, nordafrikanischer oder Balkan-Musik“. Und die Größten seien sowieso Bob Dylan und Leonard Cohen wegen ihrer Songschreiberfähigkeiten.

Für „Luna Hotel“ haben The Jellyfish Kiss ihren Mischmasch jedoch stark zurückgenommen. Die Platte wirkt wesentlich durchgängiger als ihre Vorgängerin „Too Stupid for Business, Too Ugly for Love“. Eben auch weil „Luna Hotel“ eine thematische Platte ist. Vielleicht sogar ein Konzept-Album, hätte das Wort nicht einen so grauenvollen Beigeschmack. Die Grundstimmung ist melancholischer, ist mehr Hotelfrühstück mit klüsigen Augen als New Orleans, wo man auch schon eine ganze Weile zur Inspiration weilte. Während sich früher oft das grausige Ende der Song-Helden mit der Cajun-Fröhlichkeit brach, bildet „Luna Hotel“ sehr treffend die verlorene Stimmung solcher Orte und ihrer immer tragikomisch scheiternden Protagonisten ab.

Bei der jetzt anstehenden Tour ist dennoch nicht mit einem schwer bedeutsamen Multimedia-Spektakel zu rechnen. Zwar wurde bandintern die naheliegende Idee diskutiert, Comics auf der Bühne zu projizieren, aber man beschloß dann, doch „keine schwerfällige Rock-Oper zu machen, weil sich Musik und Bilder nur im Wege stehen würden“. Was nicht heißen sollte, daß Caprez nicht mit dem Gedanken spielt: Trickfilme hat er schon früher gemacht. Und auch deutsche Texte hat er schon länger im Hinterkopf, weil diese Sprache womöglich besser zu den makabren Thematiken passen könnte: „Für mich und Christoph ist klar, daß wir mal ein deutschsprachiges Projekt anstreben. Aber das kann man nicht so einfach aus dem Ärmel schütteln. Und dann würde ich die Band anders nennen: Die Quallenfische.“ Solange aber wird noch in Englisch geküßt.

The Jellyfish Kiss: „Luna Hotel“, RecRec Records.

Caprez/Schuler: „Luna Hotel“, Edition Moderne, Zürich 1994.

Tour Jellyfish Kiss: 11.3. Konstanz, 12.3. Tuttlingen, 13.3. Biberach, 15.3. München, 16.3. Freiburg, 17.3. Karlsruhe, 18.3. Finsterwalde, 19.3. Marburg, 20.3. Rostock, 22.3. Frankfurt, 23.3. Würzburg, 24.3. Berlin, 25.3. Hannover, 26.3. Attendorn, 27.3. Köln, 28.3. Hamburg.

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