Joanna, Lawrence und das Riesenrad

■ Das Theater BROT und SPIELE zeigt Lanford Wilsons „Home Free“

Home Free bedeutet so etwas wie Heimspiel im Sinne von: eine sichere Sache. Gemeint ist damit natürlich eher das Gegenteil. In dem Zweipersonenstück, das der amerikanische Autor Lanford Wilson vor über dreißig Jahren verfaßte, ist überhaupt nichts sicher, außer daß ein Mann und eine Frau, die sich Lawrence und Joanna Brown nennen, symbiotisch aneinanderhängen. Der Rest ist Spiel oder Möglichkeit oder Wahnsinn.

Doch da im Theater wahr ist, was die Figuren für wahr halten, läßt sich folgende Geschichte erzählen: Joanna ist schwanger von ihrem Bruder Lawrence. Er hat panische Angst vor Menschen und wagt nicht, vor die Türe zu gehen. Sie hat Angst, daß die Vermieterin ihnen die Wohnung kündigt, wenn das Baby geboren ist. Beide imaginieren zwei Mitbewohner, ein kleines Mädchen und einen 43jährigen Mann. Ab und zu geht Joanna nach draußen, dann bekommt Lawrence Angstzustände. Wenn sie wiederkommt, erzählt sie von ihren „Abenteuern“ und hat ihm etwas Nettes geklaut, einen Füllfederhalter zum Beispiel. Den steckt sie in eine Überraschungskiste, in der sie selbst jedesmal etwas Gebasteltes von ihm vorfindet: Eine kleine Gondel für das Spielzeug- Riesenrad etwa.

Sie stellen sich vor, welche Unnatürlichkeit ihr Inzest-Baby aufweisen wird. Er ist eifersüchtig, sie stellt Zeitpläne auf, wann er mit ihr schlafen darf. Sie spielen Königin und Lakai. Sie spielen Kinder. Wenn vom Hausflur Geräusche kommen, klammern sie sich aneinander. Dann spielen sie weiter. So weit, daß er ihr die plötzlich einsetzenden Schmerzen nicht glaubt und dann das imaginäre Mädchen zum Arzt schickt, weil er sich ja nicht auf die Straße traut. Sie stirbt.

Das alles dauert in der Inszenierung von Ben Artmann nicht einmal eine Stunde. Es ist eine sehr dichte Stunde, die Geschichten enthält für viele weitere. Zwei spielen Heim. Und der Untergang ist vorprogrammiert. Das kleine Mädchen könnte Joanna als Kind sein. Und der Mann der Vater, der sie beide sexuell mißbrauchte. Vielleicht.

Karin Wilpert hat ein Karussell- Kissen entworfen, über dem – vertikal, als Mobile – das Riesenrad baumelt. Ansonsten gibt es nur farbige Kisten und zwei Plexiglas- Stellwände. Auf der einen ist die Haustür skizziert, auf der anderen die Küche. Die Gratwanderung zwischen koketter Kindlichkeit und Verzweiflung gelingt Franziska Dieterich und Hans Dieter Heiter fast durchgehend. Manchmal verhaspelt sich das Tempo, dann wird zu viel, zu schnell gewollt. Die eingespielten Außengeräusche stören, die anfängliche Krimimusik wirkt albern. Aber beide Schauspieler haben diesen ernsthaft hysterischen Kick in der Stimme, sie überzeugt als Mutterfigur und er als ihr eigentliches Baby.

Das Stück ist gut, eine Mischung zwischen amerikanischem Kroetz und Howard Pinter. Das könnte in den Sozialkitsch abkippen, oder in den Slapstick. Tut es aber nicht. Mit professioneller Bodenständigkeit werden am spielerischen Ausnahmefall Einsamkeitshöllen vorgeführt. Petra Kohse

Bis 5.5., Do-So, 20.30 Uhr, Schoko- Laden, Ackerstraße, 169/70, Mitte, dann bis 23.5., Do-So, sowie 11. und 23.5., 20.30 Uhr, Theaterdock, Kulturfabrik Lehrter Straße 35, Moabit.