piwik no script img

Aufarbeitung – heiter und kontrovers

■ Die Grünen und ihre DDR-Kontakte: eine Tagung in Bonn

Bonn (taz) – Zahllose Stasi- Spitzel in führenden Positionen bei den Grünen – so lautete der reißerische Verdacht, mit dem vor zwei Jahren ein Magazinbeitrag den damals noch rein grünen Bundesvorstand aufschreckte. Der Verdacht war schnell eingedämmt; doch was blieb, war das Unbehagen und der Entschluß der Grünen, ihre deutschlandpolitische Vergangenheit aufzuarbeiten. Am Donnerstag war es soweit. Etwa hundert mittlerweile vereinigte Bündnisgrüne trafen sich in Bonn.

Ein heikles Projekt, wie eine der zahllosen Episoden, die da noch einmal erzählt wurde, veranschaulicht: Als im Februar 1988 die sechs, wegen ihrer Proteste am Rande der Rosa-Luxemburg-Demonstration ausgebürgerten DDR-Oppositionellen die grüne Bundestagsfraktion besuchen, verlassen zwei Drittel der Anwesenden protestierend den Saal. – Am Donnerstag blieben alle. Zwar wurden die alten Konfrontationen offen thematisiert, der innergrüne Widerspruch zwischen menschenrechtlichem Engagement auf der einen und sozialismusfreundlicher Ignoranz auf der anderen Seite in zahllosen Facetten erinnert; doch die Atmosphäre blieb über zwölf Stunden hinweg merkwürdig heiter und wirkte wie ein ständiges Dementi der Verkrampfungen, Risiken und moralischen Fallen die der ernste Anspruch eben so mit sich bringt.

„Ambivalenz“ war in Bonn der Schlüsselbegriff, mit dem die Politik der Grünen gegenüber dem DDR-System und seinen Dissidenten beschrieben wurde. Er war zugleich das Zauberwort, mit dem die unerfreulichen Begebenheiten aus der gemeinsam-getrennten Geschichte immer wieder neutralisiert wurden. Daß die „internationalistisch“ gesonnenen Linken einst die blockübergreifend agierenden Menschenrechtsaktivisten als Kalte Krieger diffamierten, darin liegen eben beide Extreme des alten grünen Spektrums.

Als einen „fundamental neuen Politikansatz“ im Vergleich zu allen anderen westdeutschen Parteien würdigte denn auch Gerd Poppe die Reise der grünen Delegation 1983, die sich eben nicht nur auf ihren offiziellen Honecker-Besuch beschränkt, sondern auch öffentlichkeitswirksam für blockübergreifende Abrüstung demonstriert hatten. Dennoch, „ein bißchen blauäugig“, so Poppe, sei 1983 der „Optimismus der ersten Stunde“, der die Grünen zum „originären Bündnispartner“ der DDR-Opposition machte, schon gewesen. „Wir wußten nicht, wieviele bei den Grünen sich das System schönredeten“ und im „amerikanischen Imperialismus den Hauptgegner“ erkannten.

Von den Vertretern dieses Ansatzes waren in Bonn nur wenige anwesend: Jürgen Reents, heute PDS-Sprecher, schwieg, Frieder O. Wolf blieb auf unangreifbar hohem Abstraktionsniveau, Dirk Schneider, seinerzeit Fraktions-IM, war gar nicht erst geladen. Die grünen Anti-Imps aller Schattierungen waren in Bonn eigentlich nur humoristisch vertreten, in den satirisch-bitter aufbereiteten Episoden aus den innergrünen Kampftagen, die Milan Horacek ungebremst zum besten gab.

Abrechnungen waren nicht angesagt. Zwar outete Lukas Beckmann, einer der engagiertesten grünen Unterstützer der DDR- Oppositionsszene, Antje Vollmer, sie habe „auf ihrem Weg zu Stolpe keinen einzigen Brief an Bärbel mitgenommen“; doch ihre beiden Besuche bei Manfred Stolpe mußte Antje Volmer vor der Versammlung ebenso wenig aufarbeiten wie die Tatsache, daß sie ihre DDR-Kontakte hauptsächlich mit kirchlichen Gruppen pflegte. Bärbel Bohley: „Ich fand das in Ordnung.“ Ihr Gespräch mit Politbüro-Mitglied Herbert Häber 1984 erläuterte Antje Volmer, sie habe geglaubt, nach oben Vertrauen schaffen zu können, um die Aufhebung der Einreisesperre aufzuheben. Dies sei eine Überschätzung gewesen. Doch habe es „keine Distanzierung von den Grünen in irgendeiner Form gegeben“.

Über die Frage, was aus der innergrünen Aufarbeitung für die künftige Politik der Partei folge, entspann sich am Ende der Versammlung, am Thema Stasi, dann doch noch einmal die Ost-West- Kontroverse. Während Joschka Fischer eine Regelanfrage zur Enttarnung von DDR-Geheimdienstmitarbeitern im Westen heftig ablehnte, sahen Ingrid Köppe und Bärbel Bohley genau darin einen Prüfstein für die grüne Ernsthaftigkeit im Umgang mit der gemeinsamen Vergangenheit. Matthias Geis

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen