Der schöne Tod

Elisabeth Bronfen hat als erste die Überfülle schöner, weiblicher Leichen in der Kunstgeschichte entdeckt. Ein Gespräch mit der Autorin über weibliche Bedrohlichkeit und den männlichen Versuch, in der Kunst die eigene Sterblichkeit zu überwinden

taz: Frau Bronfen, Sie geistern seit kurzem mit dem Image der geheimnisumwitterten Professorin durch die Medienlandschaft. Und mit Ihnen eine Menge Leichen. Sind Sie wirklich so morbide?

Elisabeth Bronfen: Vieles davon ist erfunden. Ich habe weder bestimmte Todesphantasien – über meinen eigenen Tod mache ich mir im übrigen keine konkreten Gedanken – noch soll auf meinem Grabstein „Love your obsessions“ stehen. Schwarze Kleidung bevorzuge ich, weil es einfach praktisch ist. Und ich habe mich als Wissenschaftlerin mit der weiblichen Leiche beschäftigt. Nicht als Leichenschänderin.

In Ihrem Buch stellen Sie dar, was vor Ihnen offenbar niemandem aufgefallen ist: Unsere Kunst ist voll mit wunderschönen, aber eben toten Frauen. Setzen die Massenmedien mit ihrer Flut von Leichen diesem zentralen Bild ein Ende?

Erstaunlicherweise ist das Bild der weiblichen Leiche nicht totzukriegen. Das liegt vielleicht daran, daß der Tod in unserer Gesellschaft immer realer zu werden scheint. Deshalb retten wir uns zu den Bildern vom schönen Tod, die etwas Besänftigendes haben. Neu ist, daß sie jetzt neben Bildern vom häßlichen Massentod stehen.

Wird die weibliche Leiche nicht abgelöst vom Bild der nackten lebendigen Frau, vom Objekt, von Pornodarstellungen?

Nein. Auch die schöne, nackte, lebendige Frau hat es immer gegeben. Aber wenn man die heutigen Filmproduktionen anschaut, so wird man feststellen, daß in fünf von sieben Filmen Frauen sterben. Interessant ist auch, wie so etwas in der Politik eingesetzt wird. Man denke an die Plakate nach Solingen, wo man diese junge Türkin gesehen hat mit dem brennenden Haus dahinter. Bei Gewalt- und Todesdarstellungen kommen immer noch Bilder der Frau mit ins Spiel. Es sind nicht weniger geworden, sondern eher mehr.

Wie halten Sie es mit dem postmodernen Philosophen Jean Baudrillard? Er geht ja davon aus, daß Tod und Sexus getrennt sind. Um die Gesellschaft zu stabilisieren, wurde das eine jeweils tabuisiert und gegen das andere ausgespielt.

Baudrillards „Der symbolische Tausch und der Tod“ ist ein ganz zentrales theoretisches Buch für mich gewesen. Denn er sagt, daß derjenige die Macht hat, der die Grenze zwischen Leben und Tod verwaltet. Diese Geschichte mit dem Erlanger Baby war so ein unglaublich schönes Beispiel dafür. Schließlich ging es um die Frage: Wer hat eigentlich die Macht? Und das waren die Männer. Sie bestimmten, ob das Baby geboren und wann die Frau sterben sollte.

Also ist die weibliche Leiche nur ein Aspekt der Opposition von Leben und Tod?

Genau. Eigentlich begann ich bei „Nur über ihre Leiche“ mit einem sehr feministischen Ansatz: Warum werden in unserer Kultur immer nur Frauen umgebracht? Ein plattes, feministisches, berechtigtes, realpolitisch einbindbares Thema. Im Laufe meiner Forschung habe ich mich für die theoretische, philosophische und psychoanalytische Seite interessiert. Wie kann der Tod in ein Bild gebracht werden? Wie gehen wir damit um? Anhand der weiblichen Leiche kann man unglaublich viel zeigen. Mein theoretischer Feldzug richtet sich gegen die klassische Psychoanalyse, weil dort Phallus und Kastrationsängste überbewertet werden. Sie hat den Penis nicht, deshalb ist sie besser, sagen die Feministinnen; sie hat ihn nicht, deshalb ist sie schlechter, sagen die Freudianer. Ich möchte, daß man davon wegkommt und nicht so sehr von Mann und Frau spricht. Das ist egalitärer.

Apropos Phallus. Eine bekannte Geste von Madonna ist eine sehr männliche: Sie greift sich in den Schritt. Eine Geste der Macht? Sehen Sie Madonna als Vehikel eines neuen Feminismus?

Da bin ich mir selber uneins. Ich habe sie in „Desperately seeking Susan“ geliebt, weil ich das Gefühl hatte, diese Frau steht zu ihrer Fülle. Und sie geht unglaublich selbstironisch und parodistisch mit den Fantasien bezüglich weiblicher Sexualität um. Gut, sie verdient viel Geld. Ich finde es immer gut, wenn Frauen Profis sind. Aber die neue Madonna ist uninteressant. Sie ist auch nicht, wie Camille Paglia findet, transgressiv sexuell, sondern schrecklich bieder. „In bed with Madonna“ zeigt zum Beispiel nur, wie prüde der Umgang mit Erotik ist.

Hat Madonna in ihrer späteren Phase nicht nur gebündelt, was früher bei ihr wirklich neu und progressiv war? Hat sie nicht auf sexuelle Randgruppen aufmerksam gemacht und sie in den Mainstream gehoben?

Ja, vielleicht. Man darf jedoch nicht vergessen, wie fähig die amerikanische Kultur ist, am Rand Stehendes zu assimilieren und damit zu entschärfen. Ich finde Marilyn Monroe in all ihrer Brüchigkeit viel spannender als Madonna. Die ist zu eindimensional. Auch was man bei der Monroe an einem anderen weiblichen Sprechen herausarbeiten könnte...

Was wäre das zum Beispiel?

In „Some like it hot“ ist Marylin zum einen der Inbegriff weiblicher Verführung, andererseits bricht sie das auch. Einfach nur die Art und Weise, wie sie sich bewegt, wie sie singt. In „Niagara“ legt sie in einer Szene ihre Lieblingsplatte auf. Sie setzt sich auf die Treppe und singt mit, leicht an der Tonspur vorbei. Sie singt irgend jemand an, aber ganz bestimmt nicht die Leute im Raum und schon gar nicht den Ehemann. Ich habe das ihre eigene „Jouissance“ genannt, die woanders hin gerichtet ist. Das ist so bedrohlich, daß der Mann herausbricht und die Platte zerstückelt. Später wird er das auch mit ihr machen. Da, wo sie sich gegen ihn wehren könnte, macht er sie stumm.

Wenn Frauen eine gewisse Autoerotik an den Tag legen, werden sie also dafür bestraft. Nicht auch die Frau in „Psycho“, die sich in der Dusche einseift, das offensichtlich genießt und dann ermordet wird?

Das ist absolut klar, immer wenn sich die Frau dem männlichen Blick entzieht. So wie Carmen in der Novelle von Prosper Merimée. Sie sagt zu ihrem Liebhaber: Ich folge dir in den Tod, weil ich den Tod als Gesetz akzeptiere. Aber nicht deine narzißtischen Phantasien von Liebe. Die Frau wird immer wieder bestraft, wenn sie sich der Ökonomie dieser narzißtischen Liebe – das Liebesobjekt soll den Liebhaber bestätigen – entzieht. Wenn sie sagt: Hier ist der eine Teil meiner Erotik, aber ich habe noch mehr! Das ist Lacan mit seinem „Encore“, das ist „Niagara“: Er bestraft sie, weil ihr Verhalten seine Vorstellung von Welt bedroht. Ihre Liebe soll sich nur auf ihn beziehen.

In meinem neuen Projekt „Jenseits des Phallus“ versuche ich herauszuarbeiten, ob es auch Formen des Begehrens und des Selbstausdrucks gibt, die nicht auf diese heterosexuelle, narzißtische Befriedigung hinauslaufen.

Frau Bronfen, Sie reden vom „Bedrohlichen der Frau“. Inwiefern stimmen Sie mit der amerikanischen Neofeministin Paglia überein, die von der dunklen, dionysischen Frau und dem künstlerischen apollinischen Mann spricht? Nach Paglia wird der Mann aus Angst vor der Frau zum Kulturschaffenden. Oder auch zum Serienkiller, um die Frau in den Griff zu bekommen.

Paglia sagt: Das, was die Ordnung stört, muß ausgerottet werden, indem es ein Bild bekommt. Oder abgetötet werden und dann ein Bild bekommen. Was die Ordnung stört, ist das Weibliche. Soweit stimme ich zu. Aber das ist auch alles. Paglia hat sehr viel interessantes Material, macht damit aber wenig. Sie perpetuiert – und das ist das Schlimme – Thesen aus dem späten 19. Jahrhundert. Was bei ihr herauskommt – Frauen können keine Kunst produzieren, weil sie nicht richtig pissen können –, bringt uns nicht weiter.

Was halten Sie von ihrer These, daß Frauen und Männer durch ihre Biologie definiert sind und nicht durch die Gesellschaft?

Das kann ich nicht nachvollziehen. Wir sind kulturell und biologisch definiert. Wir haben einen Körper und einen Kopf, und beide sind miteinander verwoben. Unsere Körper inszenieren zum Teil das, was wir denken, und wir denken teilweise das, was wir mit dem Körper fühlen. Die Reduzierung auf das Biologische ist ein Rückschritt.

Anders als Paglia meinen Sie, daß man zwischen Künstlerinnen und Künstlern nicht unterscheiden kann, weil beide den männlichen Blick haben. Sie führen das auf unsere patriarchalische Gesellschaft zurück. Wo sehen Sie patriarchalische Elemente?

Es gibt immer noch keine Gleichberechtigung von Männern und Frauen auf der Arbeitsebene. Verhältnismäßig wenige Frauen sitzen in Machtpositionen von Verwaltung und Politik und Ökonomie. An den Schaltstellen der Macht sind Männer.

Wie kann man die Macht der männlich dominierten Kultur aufbrechen?

Das muß über die Machtzentren passieren. Ich bin keine Anarchistin und kann mir eine Veränderung eher durch Kritik als durch Zerstörung vorstellen. Deswegen plädiere ich dafür, daß Frauen in Machtpositionen die Strukturen ändern. Für Frauen wie mich, die in Universitäten, Parteien oder Banken sitzen, ist es ein Auftrag, durch ein neues Denken und Diskutieren andere Interessen hervorzubringen.

Was halten Sie in diesem Zusammenhang von Quotenregelungen?

Ich bin gegen Quoten. Aber eigentlich nur, weil ich selbst ungern als Quotenfrau gesehen werden möchte. Ich wäre nur dann dafür, wenn nichts anderes mehr geht.

War Ihr Weg zur Professorin in Zürich schwer?

Überhaupt nicht. Für dieses Ziel habe ich hart gearbeitet; das tun Männer auch, aber das Wichtigste ist eine Bewußtseinsveränderung. Nur so können Frauen auch an Machtpositionen kommen. Man kann es schaffen, wenn man es schaffen will. Frauen als Opfer der Kultur – das stimmt für Frauen in meinem Alter und aus meiner Schicht nicht mehr. Allerdings wird ihnen in unserer Kultur so wenig Mut gemacht.

Und was ist mit denen, die Kinder bekommen wollen?

Es ist wichtig, daß Frauen in Machtpositionen Kinderkrippen

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fordern. Oder: Freitag nachmittag kann keine Sitzung stattfinden, weil ich mein Kind von der Schule abholen muß. Die Amerikanerinnen haben das innerhalb von zwei Generationen durchgesetzt. An den großen amerikanischen Universitäten sind mindestens 50 Prozent der Professoren Frauen. Die haben alle Kinder. Hier ist es schwieriger. Das fängt an mit Kleinigkeiten, die völlig absurd sind. Die Ladenschlußgesetze... (lacht) ärgern mich ganz besonders.

Wie steht es mit den Hausfrauen bei uns?

Das hat viel mit dem symbolischen Tausch zu tun. Solange die Hausfrau für ihre Arbeit nicht bezahlt wird, hat sie keine wirkliche politische Macht. Wir leben in einer Kultur, in der die Mutter keine politische Funktion hat. So drehen wir uns weiter im Kreis. Wer beschließt, ob die Frau ein Kind bekommen kann? Das sind ja nicht die Frauen, sondern die Kirchenväter, die in ihrem Leben weder schwanger werden noch höchstwahrscheinlich Frauen schwängern.

Was fordern Sie von den Männern?

Sie müßten Schwächen akzeptieren lernen. Ich glaube, daß Männer unter diesem Mythos leiden, immer stark und potent sein zu müssen. Vielleicht sollten wir auch alle die Macht noch mehr umarmen. Ich bin mir da auch nicht so sicher. Was mich interessiert, sind plurale Formen der Macht. Nicht daß sie nur den einen Ausdruck findet: Anzug, Krawatte und Aktenkoffer.

Männer versuchen nach Ihrer These, durch die weibliche Leiche in der Kunst die eigene Sterblichkeit zu überwinden. Ihren Studenten in München haben Sie zugerufen: Akzeptiert eure Sterblichkeit! Wie geht das?

Wir müssen verstehen, daß wir in uns gespalten und widersprüchlich sind. Daß wir Risiken eingehen sollten, auch wenn wir nicht wissen, wohin die führen werden. Sterblichkeit zu akzeptieren heißt, von Vorstellungen wie Makellosigkeit, Perfektion, Unfehlbarkeit wegzukommen. Krankheit, Schmerz, Unterbrechungen, Störungen sollte man nicht tabuisieren, sondern durchaus als einen Teil des Lebens sehen.

Wie kann man diese Tabus brechen?

Indem man Bilder schafft. Man kann einige Formen von Aggressionen damit auffangen. Wir müssen auch akzeptieren, daß wir gewaltsame, aggressive, todverstreuende Wesen sind. Kunst ist eine Möglichkeit.

Auch für Sie. Zusammen mit einer Freundin haben Sie ein Opernlibretto geschrieben. Worum geht es da?

Um eine Frau, die andere Frauen umbringt. Eine Lustmörderin. Es ist mehr eine spielerische Sache, eine Parodie auf Jack the Ripper. Ich wandle ihn um in eine Jacqueline the Ripper.

Das Gespräch führten Anne Zielke und Wolfgang Farkas

Elisabeth Bronfen: „Nur über ihre Leiche. Tod, Weiblichkeit und Ästhetik“. Kunstmann Verlag 1994, geb., 647 Seiten, 78 DM