Ein Lärm um nichts

■ Textzertrümmerung mit spürbarer Lust: "Quartett" Heiner Müller inszeniert Heiner Müller am Berliner Ensemble

Es hätte ein großer Abend werden können. Eine spektakuläre Besetzung und ein Autor, von manchen schon zu Lebzeiten mit Klassikerweihen bekränzt, der ein eigenes Stück inszeniert. Aber zum Schluß geht man doch enttäuscht nach Hause. Beklagt die abgesessene Zeit und das ungenutzte Potential.

„Sie werden alt“, sagt die Marquise de Merteuil zu ihrem verflossenen Geliebten, dem Marquis de Valmont. Sagt es in Heiner Müllers Stück „Quartett“, das am vergangenen Freitag am Berliner Ensemble Premiere hatte. Eine Frau, ein Mann und ein kalter Disput über die Liebe und die Korrumpierbarkeit der Tugend. Der Kampf der Geschlechter als Kampf der Körper gegen Vergänglichkeit und Tod, weshalb sie auch das einzig wirkliche Material der Geschichte sind. Als Ort der Erinnerung gibt es darum kein Herz, kein Hirn und erst recht kein Geschichtsbuch: „Es ist die Haut, die sich erinnert“, bringt Merteuil die Sache auf den Punkt.

In Berlin spielt Marianne Hoppe die Merteuil und Martin Wuttke den Valmont. Wer nun allerdings erwartet hatte, Regisseur Müller finge irgend etwas mit seinem Einfall an, dies Paar mit einem Altersunterschied von einem halben Jahrhundert zu besetzen, wartete vergebens. Als die Marquise zu Anfang mit turmhoher Puderperücke im kahlen Bunkerambiente von Hans-Joachim Schlicker mit eisiger Präzision beginnt, Müllers Text zu zelebrieren, stimmt wenigstens das Bild. Doch die Perücke ist bald weg. Und mit ihr das einzige, was Heiner Müller zu dieser Figur eingefallen ist. Den Rest des Abends bestreitet Marianne Hoppe allein mit routinierter Virtuosität. Manchmal, wie es scheint, allerdings ohne sonderliches Interesse für das, was gespielt wird. Doch wer wollte ihr das übelnehmen.

Fast sieht es nämlich aus, als hätte es Heiner Müller schon nach wenigen Szenen gedämmert, daß nicht nur die Körper von der Zeit bedroht sind, sondern auch die Texte. In diesem Fall sein eigener. Und daß er sich dann nicht entscheiden konnte, ob er den Leichnam nun mit Lust zerfleddern oder künstlich beleben sollte.

Dem Duo Merteuil/Valmont des Autors Müller, das die Parts der abwesenden (und unfreiwilligen) Mitspielerinnen im Quartett noch selbst übernimmt, fügt Regisseur Müller ein Darstellertrio hinzu: Margarita Broich, Ruth Glöss und Thorsten Heidel. Der Mann bleibt als blaugefärbtes Double des Valmont eher rätselhaft in Form und Funktion. Die Frauen treten zunächst als stumme Kammerzofen auf, schlüpfen aber bald in die Rollen der betrogenen Frauen im Intrigenspiel des Aristokratenpaares. Denn, wie sagt es Valmont so schön: die Liebe ist eine niedere Regung, eine Domäne der Domestiken. Einmal proben sie schweigend den Aufstand und schneiden den zynischen Herrschaften die Kehle durch. Ein Einfall, dem weiter nichts folgt. Ansonsten läßt Müller seinen Text mit spürbarer Lust zertrümmern. Läßt die wohlgewählten schönen Worte genüßlich im Kalauer, die eleganten glatten Sätze im Slapstick münden.

Die Selbstironie macht den ratlosen Inszenator seiner eigenen Sprache fast sympathisch. Versuchte er nicht zum Schluß, sich doch noch mal in opernhafte Höhen aufzuschwingen. In einem Flammenmeer und krachenden Kanonenschüssen erscheint Merteuil – die lang das Treiben auf der Bühne entrückt von einer Loge aus betrachtet hat – mehr Marianne als Merteuil. Ein Lärm um nichts. Ein Untergang mit viel Theaterdonner, den Marianne Hoppe überstrahlt wie ein edler Stein in einer schlechten Fassung.

Nach neunzig pausenlosen Minuten ist alles vorbei. Standing ovations, als der Vorhang fällt. Eine Avantgarde von gestern feiert noch einmal sich selbst. Scheinwerfer strahlen ein Puttenpaar über der Bühne an, das dem Publikum einen Spiegel entgegenhält. Doch der Spiegel ist blind, eine silbergestrichene Stuckattrappe. So bleibt er leer und gibt das Bild, das er verspricht, nicht frei.

Wem's dennoch dämmert, verläßt das Theater mit beklommenem Gefühl und zu neuen Ufern vielleicht. Der Rest eilt zur Premierenfeier. Esther Slevogt

Heiner Müller: „Quartett“. Regie: Heiner Müller, Ausstattung: Hans- Joachim Schlieker, mit: Marianne Hoppe, Martin Wuttke, Margarita Broich, Ruth Glöss und Thorsten Heidel. Nächste Aufführungen am 15. und 22.3., 19.30 Uhr, Berliner Ensemble