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Krebsgefahr aus dem Auspuff

Erschreckend hohe Benzolbelastungen in den Städten nachgewiesen / Beim Streit um Grenzwerte stehen Kostenerwägungen im Vordergrund / Die Vorsorge kommt wie immer zu kurz / Gefährdet sind vor allem die Kinder  ■ Von Andreas Sentker

In den Ballungszentren stinkt es zum Himmel. Abgase aus Industrieschloten, Heizungsanlagen und Auspuffenden rauben der Stadtbevölkerung den Atem. Der Beitrag des Straßenverkehrs zur Luftverschmutzung ist gewaltig: 55 Prozent der Stickoxide und gar 71 Prozent des Kohlenmonoxids entfleuchen den Auspufftöpfen der Kraftfahrzeuge. Der Anteil der Kohlenwasserstoffe beträgt 49 Prozent. In diese letzte Gruppe gehört eine Substanz, deren Gefährlichkeit seit einigen Wochen intensiv diskutiert wird, das Benzol. Neun Zehntel der Benzolbelastung – neben Dieselabgasen die Hauptursache des Krebsrisikos infolge der Luftverschmutzung – werden vom Straßenverkehr verursacht und davon wiederum 92 Prozent von Fahrzeugen ohne geregelten Katalysator.

Benzol ist bereits im Rohöl enthalten, es entsteht aber auch während des Produktionsprozesses in der Raffinerie. Sein Anteil im Otto-Kraftstoff schwankt in Deutschland zwischen 2 und 2,5 Prozent, der zulässige EU-Grenzwert liegt gar bei 5 Prozent, dem Fünffachen der geltenden US-Norm. Die amerikanische Vorgabe wird laut Mitteilung des ADAC auch in Deutschland angestrebt. Entsprechende Entwürfe aber stoßen auf heftigen Widerstand. Weitere Maßnahmen zur Verringerung des Benzolgehalts im Kraftstoff bedeuten, so Barbara Meyer-Bukow vom Mineralölwirtschaftsverband (MWV), Investitionen in Höhe von 2 Milliarden Mark allein für die deutschen Raffinerien. Das Umweltministerium Baden-Württemberg jedoch hält die Mehrkosten von zwei bis drei Pfennigen pro Liter Benzin für akzeptabel.

Benzolhaltige Dämpfe werden beim Transport von der Raffinerie zur Zapfsäule und beim Tanken frei, ein großer Teil tritt unverbrannt aus dem Auspuff. Nach Mitteilung des MWV wurden in Nordrhein-Westfalen die Emissionen seit 1980 bereits um etwa 60 Prozent verringert: Katalysatoren, Einrichtungen zur Gasrückgewinnung auf der Lieferkette von den Raffinerien bis zu den Tankstellen und Saugrüssel an den Zapfsäulen haben dazu beigetragen. Klaus- Dieter Frauke vom ADAC frohlockt: „Das Auspuffende ist inzwischen relativ sauber.“

Das Stuttgarter Umweltministerium aber sieht weiteren Handlungsbedarf: Allein in Baden- Württemberg verpesten immer noch etwa zwei Millionen nicht abgasreduzierte Fahrzeuge die Luft. Umweltminister Schäfer fordert Vorschriften zur Nachrüstung der alten Modelle. Ein Vorglühen des Katalysators würde zudem die Emissionen auf den ersten Kilometern senken. Aber auch andere effektive technische Lösungen sind seit einiger Zeit anwendungsreif. Saugrüssel reduzieren den beim Tanken freiwerdenden Benzolanteil um bis zu 90 Prozent. Ein so hoher Wirkungsgrad wird jedoch nur bei den modernsten Systemen erreicht und ist vor allem vom richtigen Verhalten der Autofahrer beim Tanken abhängig. Ein in den USA vorgeschriebener Kohlefilter im Tank würde die Verdampfung noch weiter reduzieren. Auch für Klaus-Dieter Frauke vom ADAC sind „Hosenträger und Gürtel“, der Saugrüssel in Kombination mit Kohlefiltern, die beste Lösung. In Stuttgart aber schreckt man auch vor Überlegungen nicht zurück, den stinkenden Altlasten notfalls die Durchfahrt zu verbieten. Ein solches Fahrverbot für nicht abgasreduzierte Fahrzeuge könnte die Benzolbelastung nochmals um etwa 65 Prozent senken.

Nach Schätzungen von Experten stammen weit mehr als die Hälfte aller krebserregenden Stoffe aus dem Straßenverkehr. Das Krebsrisiko ist beim Benzol eindeutig belegt. Es trifft vor allem die Schwächsten. Von Greenpeace veröffentlichte Meßreihen wiesen in Kinderhöhe (1,20 Meter) deutlich höhere Werte aus als in der üblichen Meßhöhe von 4,50 Metern. In Bodenhöhe treten kurzfristig extreme Spitzenbelastungen auf. Die Kinder sind doppelt betroffen. Die Schadstoffdosis ist nicht nur höher als bisher angenommen, die Werte summieren sich auch im Laufe des Lebens.

Eingeatmetes Benzol wird in der Leber zum Teil abgebaut, ein gewisser Prozentsatz des flüchtigen Stoffes wird aber auch wieder abgeatmet. Die Auswirkungen des Benzols sind seit langem bekannt. Brechreiz und Kopfschmerzen, Rausch- und Schwindelgefühle, Müdigkeit und gestörte Bewegungskoordination sind noch die harmloseren Symptome. Die Reizung von Schleimhäuten und Atemwegen kann asthmaähnliche Anfälle verursachen. Gefährlich sind insbesondere Abbauprodukte des Benzols wie Gluconsäure und Hydrochinone, sie wirken toxisch auf das blutbildende System. Die Folgen sind Blutarmut und – im schlimmsten Fall – Leukämie.

Bei Kindern in verkehrsreichen Stadtteilen wurden wesentlich höhere Benzol- und Toluolkonzentrationen im Blut nachgewiesen als bei ihren Altersgenossen auf dem Land. Entsprechend hoch sind die Belastungen des Fettgewebes und des Knochenmarks. Experten des Länderausschusses für Immissionsschutz (LAI) gehen von einem fünfmal höheren Krebsrisiko in der Stadt aus. Die Kindergesundheit, so werden kritische Stimmen laut, wird bisher nur unter technischen und Kostengesichtspunkten diskutiert, die Vorsorge kommt meist zu kurz.

Der längst überfällige Entwurf zur 23. Bundesimmissionsschutzverordnung ist vom Kabinett verabschiedet. Er hängt nun seit Monaten im Bundesrat fest. Die Landesregierungen scheuen vor allem die Meßkosten. Kritiker bemerken zudem, die Lobby der Automobilhersteller habe die Verordnung ohnehin verwässert. Der im Entwurf angestrebte Grenzwert von 10 Mikrogramm Benzol pro Kubikmeter soll erst ab Sommer 1998 in Kraft treten. Im nächsten Jahr wird übergangsweise ein Wert von 15 Mikrogramm eingeführt. Diese Werte aber erscheinen vielen Fachleuten ohnehin indiskutabel. Der LAI hatte einen „Ziel- und Orientierungswert“ von 2,5 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft festgesetzt.

Das Bundesimmissionsschutzgesetz sieht den Einsatz aller nach dem Stand der Technik möglichen Mittel zur Begrenzung von Luftschadstoffen vor, gefördert insbesondere durch die Festlegung von Grenzwerten. Die bisher diskutierten Werte aber setzen weder Fahrzeug- noch Mineralölhersteller besonders unter Druck. So können umweltfreundliche Projektstudien weiterhin wie bisher direkt von der Entwicklungsabteilung ins Museum wandern.

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