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„Under der Gürtel-Line“

Die Eishockey-Viertelfinals sind trotz schmutzig-foulen Matches noch nicht fertig  ■ Vom rheinischen Eis Bernd Müllender

Es geht mal wieder heftig zur Sache auf der Ziellinie der diesjährigen Eishockey- Meisterschaft. Zwei der vier Viertelfinals, die erstmals im Modus „best of seven“ ausgetragen wurden, waren schnell fertig: Meister Düsseldorfer EG machte mit 4:0-Siegen gegen den ESV Kaufbeuren ebenso kurzen Prozeß wie Hedos München gegen Mannheim. Die anderen aber waren heiß umkämpft – etwa das Duell der Berliner Preußen mit dem Krefelder EV oder der Kölner Haie gegen den EV Landshut.

Sonntag deren sechstes Spiel: Ein wildes und deshalb unterhaltsames Match mit insgesamt 50 (plus 30 Disziplinar-) Strafminuten für alles, was das Regelwerk an Schmutzigkeiten so zu verbieten versucht: Rüde Knie- und Ellbogenchecks, Haken und Hakeln mit und ohne Verletzungsfolgen, Stockstich, Stockschlag und der besonders verabscheute Stockendenstich (Kölns Peter Lutter). Mehrheitlich indes ging die wüste Foulerei auf Landshuter Konti: So mancher Hockeyhai wurde an der Bande plattgecheckt wie eine Scholle, und noch nach der Schlußsirene (Köln siegte 4:2 und glich damit zum 3:3 aus) wollte ausgerechnet EVL-Torwart Petr Briza noch eine Massenkeilerei anzetteln. Die Kölner Fans antworteten mit der größten annehmbaren Unflätigkeit: „Ihr seid schlimmer als die DEG.“

Kölns Co-Coach Bernd Haake war denn auch, wie er wütend sagte, „auf hundertachtzig“. „Mutwillig und absichtlich“ seien die Bayerncracks zur Sache gegangen. Hätte der Schiedsrichter „nicht so manches Mal noch beide Augen zugedrückt“ (Haake), die Strafbänke hätten bis in den Tribünenbereich hinein verlängert werden müssen. Die Sticheleien und Anwürfe mit Landshut-Coach Bernie Johnston gingen hernach hin und her. Er, Haake, sei im Vorjahr in den USA bei den NHL-Play-offs gewesen, habe da gar „bei einem richtigen Trainer gewohnt“ und wisse daher, was schmutziges und sauberes Hockey sei. Johnston verwies kühl lächelnd auf fünf Jahre Spielerkarriere „in der N High L“ und müsse sich daher von einem deutschen Zweittrainer nichts erklären lassen. Auf dem Eis sei „halt heiß gearbeitet“ worden: Höchstens kölsche Fouls seien „under der Gürtel-Line“ gewesen.

Man kann sagen, daß sich Köln und Landshut nicht sehr mögen. Gleich im ersten Match hatte Landshuts Liga-Rekordfouler Rochus Schneider mit einem Crosscheck Nationalstürmer Thomas Brandl niedergestreckt, daß dieser kurzfristig auf die Intensivstation mußte. Und in Spiel vier hatte der Kölner Zeitnehmer die Uhr so lange angehalten, bis Russenhai Igor Dorochin acht Sekunden vor Schluß den Ausgleich erzielen konnte. Weil Zeitnehmer hinter Glasschutz unfoulbar sind, mußte am Sonntag Dorochin selbst nach Kniecheckvolltreffer pferdegeküßt zum Doc geschleift werden und schießt in diesem Play-off keine Ausgleiche mehr.

Andere Themen dominierten das Viertelfinale Krefelder EV – Berliner Preußen. Etwa der Videobeweis, vom Eishockeybund vollmundig zu Beginn der Serie angekündigt – und nie eingesetzt. Ausgerechnet KEV-Präsident Uli Urban hatte sich besonders energisch verweigert. Argument: Chancenungleichheit, wenn nicht in allen Stadien die entlarvenden Kameras des Live-Senders premiere stünden. Zur Strafe war der KEV zweimal benachteiligt. In einem Fall hatte der Torrichter einen eindeutigen KEV-Treffer verschlafen, was Preußen-Trainer Billy Flynn zu dem schönen Satz anregte: „Hockey ist so schnell geworden, daß die Torrichter gar nicht mehr sehen, wo der Puck ist, sondern höchstens noch sehen können, wo der Puck war.“

Sprachlos waren in Krefeld am Freitag abend nach Match fünf ausgerechnet die, die zuvor so stimmgewaltig für ein Höllenspektakel gesorgt hatten, gegen das selbst die Düsseldorfer Brehmstraße akustischen Friedhofscharme ausstrahlt. Nein, so etwas habe man, war der allgemeine Tenor der Heiseren, noch nie erlebt. Glatt ausgekontert lagen die Lieblinge mit 0:3 zurück (das Ausscheiden war noch ein Drittel entfernt), doch statt enttäuscht zu pfeifen, erhoben sich zu Beginn des Schlußabschnitts alle von ihren Plätzen und intonierten ohne Pause einen Art Saisonabschlußgesang. Es wurde zum Menetekel für Berlin. Der KEV, scheinbar klar besiegt, schaffte Tor um Tor, und beim Ausgleich verkündete der völlig durchgedrehte Stadionsprecher „als Assistenten: das Publikum“. Die 7.000 skandierten sich in einen Rausch. Zum Dank schenkten ihnen die völlig konsternierten Preußen einen Sieg im Penalty-Schießen.

„Wir haben“, sagte KEV-Trainer Mike Zettel, wider alle Logik bei einem 2:3-Rückstand nach fünf Matches, euphorisch nach dem Superthrill, „noch zwei Chancen, Berlin nur noch eine.“ Die aber nutzten die Preußen am Sonntag (4:2) und warfen (wie auch im Vorjahres-Viertelfinale) den Titelgeheimfavoriten aus dem Wettbewerb. Dabei waren die überehrgeizigen Krefelder mit einem Phyrrussieg selbst schuld: Am letzten Hinrundenspieltag hatten sie es mit Nachbarn Düsseldorfer EG zu tun gehabt, gegen den sie nach dem Wiederaufstieg 1991 mit elf schmählichen Niederlagen in Folge nur verloren hatten. Deppenhaft gewannen sie 2:0 (wobei Stürmer Petrash mit einem grandiosen Schlenzer von mitten hinter dem Kästlein das Tor des Jahres besorgte) und trafen damit statt auf Lieblingsgegner Köln erneut auf Angstgegner Preußen, deren aufreizend cooles Defensivspiel Krefelds heißes kanadisches Angriffshockey erfolgreich zerstörte.

Die Halbfinals (ab Freitag) spielen Düsseldorf gegen Berlin und München gegen Köln oder Landshut. Deren endlich entscheidendes siebtes Spiel steht heute abend in Landshut an. Befürchtet wird ein noch wüsteres Gemetzel als am Sonntag, eine Art Puckkrieg. Übertrieben martialisches Vokabular? Kölns Manager Helmut Bauer am Sonntag clausewitzesk: „Wir haben heute erst eine Schlacht gewonnen, aber noch nicht den Krieg.“

Doch merke: Es ist keine Schlacht so groß, als daß nicht am Ende einer übrigbleibt.

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