„Sterbehelfer“ Atrott erhält zwei Jahre auf Bewährung

■ Zyankali für 3.000 bis 5.000 DM weitergereicht

Augsburg (taz) – Er selbst sieht sich als ein zu Unrecht Verfolgter, als „Pionier der Sterbehilfe“, wie sein Anwalt erklärte. Doch die Erste Große Strafkammer des Landgerichts Augsburg hält den ehemaligen Präsidenten der Deutschen Gesellschaft für Humanes Sterben (DGHS), Hans-Henning Atrott, der Steuerhinterziehung und des Verstoßes gegen das Chemikaliengesetz für schuldig. Er wurde gestern wegen der unerlaubten Weitergabe von Zyankali zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren auf Bewährung verurteilt. Der Vorsitzende Richter Hartmut Klotz ging in der Urteilsbegründung davon aus, daß Atrott ganz genau wußte, „daß er sich im strafbaren Raum bewegt“, und somit kein Verbotsirrtum bestand.

Zu Beginn des Verfahrens hatte Atrott von seinem Anwalt Steffen Ufer ein umfassendes Geständnis verlesen lassen. Er, Atrott, habe selbst an einige Personen Zyankali abgegeben und darüber hinaus Dritte veranlaßt, es an Sterbewillige zu verabreichen. Aber nicht die persönliche Bereicherung, sondern die Hilfe für todkranke Menschen sei sein Motiv gewesen. 134 Namen wurden vorgetragen, an die Zyankali-Kapseln – meist zum Preis von 3.000 bis 5.000 Mark – abgegeben wurden. Immer wieder ergänzte der Staatsanwalt diese Ausführungen mit dem Hinweis: „Hat sich noch in Anwesenheit der Überbringerin das Leben genommen.“ Durch das Geständnis Atrotts wurde die Verhandlung auf einen Tag verkürzt und auf die Anhörung von über 70 Zeugen – darunter Überlebende von Selbstmordversuchen – verzichtet.

Der Staatsanwalt ließ in seinem Plädoyer erkennen, daß Atrott ausgesprochen gut am Zyankalihandel verdient habe. Die 134 angeklagten Fälle seien nur die Spitze des Eisbergs. Bei einem Einkaufspreis von 10 bis 20 Pfennigen pro Gramm und einem Verkaufspreis von 3.000 Mark und mehr pro Gramm würde deutlich, worum es gegangen sei. Offen blieb, wie viele Menschen sich mit dem Zyankali das Leben genommen haben. kw