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Pappeln zu Sägespänen

■ Bevor der Frühling kommt, räumen die Grünflächenämter bei den Straßenbäumen mit der Kreissäge gründlich auf / Pro Jahr werden in Berlin 5.000 Bäume gefällt

Wenn in den kommenden Tagen in der Kohlfurterstraße die Kettensäge kreischt, steckt nicht nur eine routinemäßige Frühjahrsaktion des Grünflächenamtes dahinter: 22 von insgesamt 50 Pappeln, die seit vielen Jahren die Straße säumen, werden auf einen Schlag gefällt. Die übrigen kommen im nächsten und übernächsten Frühjahr unter die Säge. Der Grund: Die Bäume haben so kräftige Wurzeln entwickelt, daß diese die Gehwegplatten hochheben. „Die Entscheidung ist die letzte Konsequenz von vielen Maßnahmen, sie ist uns wirklich nicht leichtgefallen“, versicherte der Leiter des Grünflächenamtes, Hilmar Schädel. Die ständigen Ausbesserungsarbeiten und Rückschnitte der Wurzeln seien nicht mehr zu finanzieren. Die Stolpergefahr für die Fußgänger sei immens. Mit großen Protesten der Anwohner rechnet Schädel nicht, obwohl es schon diverse Beschwerden gegeben habe. Auch die Erneuerungskommission (EK) habe bereits Verständnis für die Fällaktion signalisiert. Die Pappeln sollen durch junge Ahornbäumchen ersetzt werden.

Mit 387.568 Straßenbäumen ist Berlin nicht schlechter versorgt als andere Großstäde der Bundesrepublik. Am meisten verbreitet ist hier die Linde (37 Prozent), gefolgt vom Ahorn (20 Prozent), Eiche (8 Prozent), Platane (6 Prozent) und Kastanie (5 Prozent). Jedes Jahr werden rund 5.000 Bäume in der Regel aus Alters- und Krankheitsgründen gefällt, so der Straßenbaum-Experte in der Senatsumweltverwaltung, Gunter Heitmann. Die „abgängigen Bäume“ sollen möglichst in der Vegetationsruhephase zu Kleinholz gemacht werden, spätestens jedoch bis Mitte März, weil dann die Singvögel mit dem Nestbau beginnen. Laut Heitmann werden pro Jahr rund 5.000 junge Bäume gepflanzt, so daß der Gesamtbestand gleichbleibe. In den früheren Jahren waren es sogar 10.000 im Jahr, doch die Sonderpflanzprogramme sind dem Rotstift zum Opfer gefallen. Sehr zum Leidwesen des Baumpaten Ben Wargin: „Die Bäume sind die Säulen des Lebens“, schimpft der Mann, der auf dem Erdball schon über 50.000 Bäume gepflanzt haben will, über die falsche Sparpolitik des Senats.

Auf einen Kilometer Straßenlänge kommen laut Heitmann von der Umweltverwaltung im Durchschnitt 76,5 Bäume. In der Realität sieht das so aus, daß es vierreihige Baum-Alleen gibt, in anderen Straßenzügen dafür aber weit und breit kein einziges Gehölz. Letzteres ist zum Beispiel in der Friedrichstraße der Fall: „Das hat historische Gründe“, erklärt Heitmann. „In manche Straßen gehören Bäume nicht rein.“ Die einzige grüne Zierde der Friedrichstraße waren acht Birken. Sie standen auf einem jahrzehntelang brachliegenden Grundstück am ehemaligen Checkpoint Charlie und kamen vor 14 Tagen unter die Kreissäge, weil dort gebaut wird. Aufgrund der hohen Bauaktivitäten in Kreuzberg, bedauert Grünflächenamtsleiter Schädel, seien in der letzten Zeit „überdurchschnittlich viele“ Bäume abseits der Straßen gefällt worden. Allein auf dem Gleisdreieck fielen Tausende für das Logistikzentrum für die Bebauung des Potsdamer Platzes. Plutonia Plarre

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