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Gorillas im Testosteronnebel

■ Pedro Almodovars "Kika" im Silicon Valley. Sie finden hier die kariertesten Tellerröcke seit Menschengedenken und Schwanenhälse und ein Orangenschnitzel

Also ich sage nur: Masken der Sexualität. Einer dieser „großartigen ausländischen Filme“. Camille Paglia wird ihn lieben. Almodovars Heldin Kika ist von Beruf Kosmetikerin. Eine charmante Rothaarige mit goldenem Herzen und üppigem Busen, den sie gern und ausgiebig in die tiefsten Dekolletés seit Menschengedenken zwängt, während die von ihr bevorzugten wadenlangen karierten Tellerröcke den Anwurf Flittchen kategorisch zurückweisen. Ihre Freundin Amparo kommt daher als goldgelockte kleine Schlampe, immer en négligé, die gelegentlich mit Kikas Liebhaber schläft. Und dann haben wir da noch Andrea „Scarface“ Caracortada, von Beruf Psychologin und Moderatorin einer Reality-Show mit dem schönen Titel „Today's Worst“. Andrea bevorzugt ein schwarzes Leder-Outfit mit Metallgittern vor den Brüsten, Motorradstiefeln und einer schwarzen Haube, auf der Gaultier, der für dieses Kostüm verantwortlich zeichnet, passenderweise eine bewegliche Kamera befestigt hat. Und schließlich hätten wir da noch Kikas Haushälterin Juana, eine junge Spanierin mit einer wundervollen Figur, Oberlippenbart und einer Nase. Vor einigen Jahren, als sie sich noch Dekadenz erlaubte, konnte man solche Nasen gelegentlich an Models in der italienischen Modezeitschrift Donna bewundern. Ein Geierschnabel monströsen Ausmaßes, der auf das bewundernswürdigste mit einem langen, langen, langen, gebogenen weißen Schwanenhals harmoniert.

Es ist lange her, wenn ich's genau bedenke, wahrscheinlich seit dem letzten Film von Marlene Dietrich, dem Liebling der Make-up-Künstler, daß wir Frauen im Kino bewundern durften, die so weit entfernt waren von allem, was gemeinhin als „natürlich“ und damit erstrebenswert gilt. Zu meiner Schulzeit war die Bemerkung „Sie ist so ein natürliches Mädchen“ immer als Lob gemeint, und immer bezog sie sich auf die größten Trantüten. Scheiß drauf, wenn jemand Tanzen für eine Sportart hielt, Pythagoras für den Erfinder des Sirtaki und die Pille für ein Mittel gegen Menstruationsschmerzen, Hauptsache, sie – selbstredend galt das nur für Mädchen – war natürlich. Ich sehe nicht, daß sich seitdem viel geändert hätte. Komme mir jetzt keiner mit den Silikonpolstern der Hollywood-Stars. Kein Mensch käme auf die Idee, daß Cher ihren Körper nach Maß hat umoperieren lassen, wenn er nie die alten Fotos von ihr gesehen hätte. Silikon ist erst in dem Moment unnatürlich, wo es nach außen getragen wird.

Almodovar hat den Film zu dieser Angelegenheit gedreht – mit den ganzen falschen Wimpern, klimpernden Ohrringen, spitzenbesetzten BHs und mörderischen Plateausohlen. Sein Griff in den Kramladen der weiblichen Mode ist schlau, denn ohne Zweifel ist die Mode, was die Auseinandersetzung mit „der Frau“ angeht, dem Film so weit voraus, daß sie von seinem Standpunkt aus eigentlich schon nicht mehr zu sehen ist. Erwähnt sei zumindest der belgische Designer Martin Margiela, der vor einigen Jahren begonnen hat, das Innere der Kleider nach außen zu kehren und so all die sonst sorgfältig verdeckten Kunstgriffe – Nähte, Abnäher, Futter, Reißverschlüsse – offenlegte, die den Frauenkörper zum fetischisierten weiblichen Ideal formen. „Die Frau“ – ein Kulturprodukt. Margiela hat sozusagen die Silikonpolster nach außen gekehrt.

Kikas Freund Ramon hat mit der Natur ebenfalls so seine Schwierigkeiten. Er kann nur mit ihr schlafen, wenn er sie dabei fotografiert. Sein Vater Nicolas, Schriftsteller und gelegentlicher Liebhaber Kikas, hat eigentlich keine Probleme mit dem Sex, aber irgendwie säumen Frauenleichen seinen Weg. Nur Juanas Bruder Paul, ein krimineller Psychopath mit einem spektakulären Körper, fühlt sich ganz im Einklang mit seiner Natur. Während eines Freigangs – er erhielt Hafturlaub, um sich bei einer Prozession zu geißeln – vergewaltigt er die schlafende Kika. Ich bin nicht gut in pornographischen Schilderungen und versuche also gar nicht erst zu beschreiben, was er mit diesem Orangenschnitzel tut, bevor es zur Tat kommt. Statt dessen sei noch einmal auf Frau Paglia verwiesen, junge Männer als Gorillas im Testosteronnebel etc., etc.

Paul also vergewaltigt Kika, und es folgt ein kleiner Wortwechsel. Paul: „Mein Rekord ist viermal ohne ihn rauszuziehen.“ Kika: „Also hör mal, Vergewaltigung ist das eine, aber das hier dauert den ganzen Tag.“ Wenn die Geschichte vorbei ist, wird Kika ihrem Freund einen Martini mixen und sagen: „Es war ziemlich unerfreulich. Aber jetzt ist es vorbei, also vergessen wir die Sache.“ Oh Mann, es ist lange her, daß Frauen gestattet wurde, nach einer Vergewaltigung so davonzukommen. In Sergio Leones „Spiel mir das Lied vom Tod“ gibt es eine ähnliche Szene. Als die Cardinale befürchten muß, von Bronson vergewaltigt zu werden, giftet sie ihn an: „Schön, danach nehme ich einen Eimer Wasser und wasche es weg. Dreckige Erfahrungen im Leben können nicht schaden.“ Almodovars Masken der Sexualität sind vielleicht etwas sentimental, aber niemals natürlich.

„Kika“ von Pedro Almodovar. Kostüme: Gaultier, Cossio und Versace. Mit: Verónica Forqué, Peter Coyote, Victoria Abril u.a., Spanien 1993.

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