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Seidenbrokat und Goldleder

■ Achtung beim Tapetenwechsel: An Kinderstubenwänden lauern Schwermetalle, im elterlichen Wohnzimmer schäumt PVC

Draußen bauen die Piepmätze ihre Nester, Tiere und Pflanzen erwachen aus ihrem Winterschlaf und auch die menschliche Spezies ist bestrebt, den Mief der dunklen Jahreszeit zu vertreiben, hält Frühjahrsputz, mistet alten Kram aus, räumt Möbel um, streicht und tapeziert neu. Ja - Tapetenwechsel ist angesagt!

Aber bevor der Renovierungstaumel beginnt, lohnt es sich, sich erst einmal Klarheit über die eigenen Ziele zu verschaffen: Brauche ich überhaupt eine Tapete, oder kann ich das Mauerwerk auch raumseitig sichtbar lassen? Könnten traditionelle Methoden der Dekoration „nur“ mit Farbe - wie Schablonieren, Tupfen, Druck- oder Wickeltechnik - eine alternative Wandgestaltung sein?

Ursprünglich diente eine Tapete höheren Zwecken: Sie entstand im Mittelalter aus Heiligenbildern, die ihre BesitzerInnen vor bösen Mächten schützen sollten. Neben Teppichen war sie einst die kostbarste Wandverkleidung und bestand aus so erlesenen Materialien wie Seidenbrokat oder geprägtem, handbemaltem Goldleder. Auch handgedruckte Bildtapeten schmückten unzählige Schlösser und Bürgerhäuser vom Barock bis Biedermeier.

Da der Trend heute eher von Omas Blümchenmuster weg zu weißen Wänden geht, behaupten sich besonders die Strukturtapeten auf dem Markt: Etwa die Hälfte aller verkauften Tapeten sind Rauhfaser, rund ein Drittel sind Vinyltapeten mit geschäumter Oberfläche. Einzige Ausnahme bilden die Schlaf- und Spielstuben unserer Kleinsten; dort feiert die gute alte Papiertapete - bunt bedruckt mit Biene Maja, Turtles oder Dinos - fröhliche Urständ.

Und da geht der Ärger schon los: Bei einer Untersuchung des Öko-Test-Magazins wurden ausgerechnet in Kinderzimmertapeten die höchsten Werte an Schwermetallen, insbesondere Blei, Cadmium und Quecksilber gefunden. Die schlummern in den kunterbunten Farbigmustern. Die Herstellerfirmen versichern zwar, daß die Pigmente fest gebunden sind und nicht ausgasen oder abgeleckt werden können, die gesundheitliche Belastung der ArbeiterInnen in der Produktion und das Entsorgungsproblem bleiben jedoch bestehen. Eine Alternative mit Pflanzen- oder Erdpigmenten ist derzeit nicht am Markt erhältlich.

Weitaus problematischer noch sind die inzwischen so beliebten Vinyltapeten, deren Oberfläche aus geschäumtem Weich-PVC oder aus Polymethan(=PVR)weichschaum besteht. Davon einmal abgesehen, daß Kunststoffe in Tapeten eine unnötige Rohstoffverschwendung darstellen und die Entsorgung schwierig machen, schließen sie einen Raum völlig ab, laden sich elektrostatisch auf und können Schimmelbildung hervorrufen. Es gasen hochgiftige und zum Teil krebserregende Substanzen aus. Seit Januar 1992 dürfen die Tapeten zwar statt mit FCKW nur noch mit Ersatzgasen aufgeschäumt werden, doch die tragen ebenfalls zum Treibhauseffekt bei. Und es kommt noch schlimmer: Im Brandfall entstehen aus PVC die ultragiftigen Dioxine, aus PVR wird Blausäure. WelcheR HeimwerkerIn sich nun abgeschreckt fühlt, der oder die sei an folgende Alternativen verwiesen: Textil- und Velourstapeten aus Naturfasern, die sich sogar ganz ohne Kleister an den Wänden verspannen lassen. Empfehlenswert sind auch Papiertapeten mit mindestens 60 Prozent Altpapieranteil und Rauhfaser aus mindestens 80 Prozent Altpapier, die beide mit dem Umweltzeichen des Umweltbundesamtes (“Blauer Engel“) ausgezeichnet sind. Wichtig ist dabei allerdings, daß auf eine chemische Ausrüstung mit Fungiziden gegen Pilzbefall und Kunstharzen zur Erhöhung der Naßreißfestigkeit und schnellerer Verklebbarkeit verzichtet wurde (im Handel unbedingt nachfragen!).

Nach all diesen Betrachtungen sollte das ja werbewirksam getextete Motto der Tapetenindustrie vielleicht umgewandelt werden - wie wärs mit „Kleb dir keine“?

Sandra Fanroth

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