: "Horst" und zwölf Mädchen
■ Erstmals werden in Berlin zwölf Bootsbauerinnen ausgebildet / Die Zukunft des Projektes ist noch ungewiß / Geballte Männerkonkurrenz sitzt gleich daneben
„Das wir uns hier alle liebhaben, nur weil wir Mädchen sind, ist doch Quatsch.“ Das klingt schon fast genervt, und so hobelt Ines Springer noch ein bißchen energischer an ihrem dicken Holzklotz. Der soll irgendwann mal ein Werkzeugkasten werden, und den wiederum braucht sie, um einen 42 Meter langen und fünf Meter breiten Kahn zu einer schwimmenden Jugendbildungsstätte umzubauen.
Ines Springer ist eine von zwölf Mädchen, die seit Anfang November in Köpenick einen für Frauen immer noch absolut seltenen Beruf erlernen: Bootsbauerin. Denn Verkäuferin oder Arzthelferin zu werden, war für Ines Springer schon immer „das Allerletzte“. „Wer das macht, ist echt doof“, sagt sie selbstbewußt.
Den ganzen Tag im Kaufhaus schlecht behandelt zu werden, lange Arbeitszeiten und wenig Lohn sind für die Achtzehnjährige keine Perspektiven. Ines Springer hat nach ihrem Realschulabschluß eine Kfz-Mechanikerinnen-Lehre begonnen, das hat ihr Spaß gemacht, aber dann hat sie von „Land in Sicht – Ausbildungsprojekt Mädchenschiff“ (Lisa) gehört und sich dort beworben. „Bootebauen ist echt klasse, weil es eben ein reiner Männerberuf ist und wir jetzt kommen“, sagt sie.
„Die Motivation der Mädchen ist insgesamt sehr hoch“, sagt Annemarie Cordes, wissenschaftliche Begleiterin des Projekts, das von der Senatsjugendverwaltung getragen wird und für Ostberliner Mädchen konzipiert ist. Ihre Vermutung: „Wir geben ihnen mit diesem Projekt ein neues Selbstbewußtsein und nehmen sie vielleicht das erste Mal im Leben richtig ernst.“ Viele Frauen kämen aus sozial benachteiligten Familien.
Nur einige Schritte vom Ufer der Spree entfernt lernen die Mädchen Hobeln, Zuschneiden, Schleifen – die Grundlagen des Tischlerhandwerks. Betreut werden sie von einer Gesellin und einem — männlichen – Bootsbauer. „Eine Frau einzustellen, war leider unmöglich, denn in Berlin gibt es nur zwei Bootsbauerinnen“, sagt Annemarie Cordes. Die eigentliche Ausbildung beginnt dann im Sommer – „Horst Günther“, einen 65 Jahre alten ausgemusterten Finow-Maßkahn, soll die Gruppe im Laufe von drei Jahren völlig neu gestalten.
Ob Lisa und „Horst Günther“ eine produktive Beziehung auch wirklich auf dem Köpenicker Gelände eingehen können, ist übrigens noch nicht geklärt: Die Treuhand, die nach wie vor ihre Hand auf dem Gelände hat, vergab bisher keine langfristigen Mietverträge. „Wenn wir die nicht bekommen, sieht die Zukunft düster aus“, befürchtet Annemarie Cordes.
Auf dem gleichen Gelände wie Lisa ist das „Ausbildungszentrum Bootsbau-Schiffsbau“ (AZBS), in dem rund 70 – männliche – Jugendliche Boots- und Schiffbauer lernen. Die zwölf Mädchen nehmen die geballte Männer-Konkurrenz gelassen: „Wir können das genauso gut“, sagt Ines Springer, die irgendwann auch noch mal Meeresbiologie studieren will. Eigentlich findet sie es toll, nur mit Mädchen zusammenzuarbeiten, obwohl der Konkurrenzkampf untereinander „ganz schön hart“ ist. „Ein paar Jungs bei uns wären auch ganz okay“, schränkt sie ein und grinst. Julia Naumann
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen