„Die SPD ist ein Totalausfall“

Beim Juso-Bundeskongreß stieß Günter Verheugen auf wenig Zustimmung und viel Haß / Jusos wollen kein „Kuscheln mit den Konservativen“, sondern rot-grüne Regierung  ■ Aus Herne Walter Jakobs

Irgendwann platzte Günter Verheugen der Kragen: „Ich muß mir diesen Scheiß nicht gefallen lassen.“ Eigentlich wollte der Bundesgeschäftsführer am Samstag nachmittag mit dem Parteinachwuchs über die „Strategien für eine andere Mehrheit“ diskutieren, doch im Saal des Herner Kulturzentrums grassierte zunächst das Bedürfnis nach Abrechnung mit dem asylpolitischen Wendekurs der SPD-Führung. Für die bezog Verheugen dann stellvertretend Prügel, in einem Ton, aus dem mitunter blanker Haß sprach. Etwa als Christian Reinke vom trotzkistischen Flügel der Jusos fabulierte, die „Abschaffung des Asylrechts“ stehe in der Tradition einer Politik, die 1914 zur Zustimmung der SPD zu den Kriegskrediten und später zur Ermordung Rosa Luxemburgs geführt habe. Diejenigen, die im Bonner Bundestag im vergangenen Jahr der Grundgesetzänderung zugestimmt hätten, seien „verantwortlich für den Tod vieler Flüchtlinge“.

Der Applaus im Saal dokumentierte, daß diese Sicht von den meisten Delegierten geteilt wurde. Und an Verheugen persönlich richtete Reinke die Frage: „Wie fühlt man sich, wenn man verantwortlich ist für den Tod von Menschen?“ Als Verheugen, erregt über diesen persönlichen Angriff, wenig später seine Zustimmung zu „dem schlechten Asylkompromiß“ darzulegen versuchte, gingen seine Worte zeitweise in lautstarkem Protest unter. Am Ende gab es zwar auch Beifall für einen Delegierten, der seine GenossInnen aufforderte, „nicht zuzulassen, daß die SPD als eine Partei von Mördern und Faschisten dargestellt wird“, aber der Bruch mit der Mutterpartei ist nach dem Asylumfall noch längst nicht verheilt.

„Abgesehen von der emotionalen Asyldebatte“, so bilanzierte Verheugen seinen Auftritt später trotzig, habe er sich aber auf dem Kongreß „wohl gefühlt“. Zu dem Juso-Vorsitzenden Thomas Westphal sei sein Verhältnis „gut“, die Jusos „insgesamt auf einem guten Weg“. Nun, dieses Urteil erklärt sich möglicherweise aus der zeitlich knapp bemessenen Besuchsdauer des Geschäftsführers. Am Tag zuvor hatte der Juso-Vorsitzende die SPD noch als „Totalausfall“ gebrandmarkt. Was die SPD unter Scharping produziere, laufe auf eine „Mogelpackung“ hinaus. Wenn Scharping die Bundestagswahl tatsächlich gewinne, zöge „kein Reformkanzler, sondern ein Kanzler der Trippelschritte“ ins Bundeskanzleramt ein. Westphal räumte ein, daß die Jusos innerparteilich „an Bedeutung verloren haben“, aber es sei, zum Beispiel zusammen mit den SPD-Frauen, auch zu neuen Initiativen gekommen, „um Scharping auch mal von der weiblichen Seite her ins Gesicht zu schlagen“.

Noch auf einem anderen Feld soll Scharping geschlagen werden. Alles wollen die Jusos dafür tun, damit aus Scharpings „Kuscheln mit den Konservativen“ keine Große Koalition, sondern eine rot- grüne Regierung entsteht. Zur Erreichung einer gesellschaftlichen Reform-Alternative sei eine rot- grüne Koalitionsregierung „ein erster notwendiger Schritt“. Wörtlich heißt es in der mit knapper Mehrheit verabschiedeten Wahlkampfplattform weiter: „Wir wollen, daß die SPD aus der Bundestagswahl als stärkste Partei hervorgeht, damit sie mit Bündnis 90/Grüne eine Regierung bilden kann. Deshalb rufen wir zur Wahl der SPD auf.“

Wie die Grünen fordern die Jusos „die Auflösung der Nato“. Von den bayerischen Jusos, denen die undogmatischen Linken im Verband seit Jahren vorhalten, die SPD-Politik auf sozialökonomische Fragen („Betriebsrat der kleinen Leute“) reduzieren zu wollen, wurde die Wahlkampfplattform „als eine Bankrotterklärung“ gegeißelt. Der Beschluß lasse eine inhaltlich begründete SPD-Orientierung vermissen und zeichne sich durch eine „naive Fixierung“ auf eine rot-grüne Koalition aus.

Daß die Jusos unter der Ägide des Vorsitzenden Westphal „nicht mehr ernst genommen werden und ihr Einfluß gegen Null geht“, beklagt auch der stellvertretende Juso-Vorsitzende Christian Lange. Der 30jährige war vor einem Jahr im Kampf um den Vorsitz an dem zum marxistisch orientierten Stamokap-Flügel zählenden Westphal knapp gescheitert. Lange „vermißt eine umsetzungsorientierte Reformpolitik“. Hoffnung auf Besserung hegt Lange nicht. Im „völlig zerfaserten Verband“ habe sich das undogmatische Spektrum „aufgelöst“, und die „dogmatischen Stamokaps stabilisieren sich“.