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Band ab für Hannelore und die Sternkinder

■ Volksmusik-Pilgern nach Bremen: Das Aufnahme-„Studio-Nord“ zieht die Szene an

Gerade erst hat das Marinemusikkorps Nordsee das Aufnahmestudio verlassen, um nach Wilhelmshaven zurückzukehren. Daß im Wochentakt riesige Reisebusse in der Mühlenfeldstraße halten, um vielköpfige Musikantenhorden aus der ganzen Republik auszuladen, schockiert die Nachbarschaft längst nicht mehr. „Die kommen ja nicht in ihren Trachten“, winkt Bernd Steinwedel ab. Seit 16 Jahren arbeitet er im Studio Nord Bremen (STB). Das steckt in einem unscheinbaren Bau in Oberneuland und ist nicht nur eines von etwa 35 Studios in Bremen und umzu – es ist ein Mekka der volkstümlichen Musik in Deutschland.

Zwar beträgt die Standardstärke eines Blasorchesters mindestens 22 Mann – „richtig wild war es aber, als das mit Punk begann und die mit ihren bunten Kämmen hier rumstolzierten“, sagt Steinwedel. Aber selbst denen schauen die mittlerweile an alles gewohnten Oberneuländer kaum mehr nach.

STB-Inhaber Wolfgang Rohloff hatte vor 38 Jahren hier begonnen, eines der ersten privaten Tonstudios in Deutschland einzurichten. Spezialität: Werbespots. „Die großen Plattenfirmen hatten alle eigene Studios, in denen ihre Künstler aufnahmen,“ erinnert sich das Muckerfossil. Private Werbeproduzenten dagegen konnten nur unter der Hand ihre Spots bei den öffentlich-rechtlichen Rundfunkstudios produzieren – eine Marktlücke. Finanziell abgesichert begann er damals auch eigene Songs aufzunehmen. Mit Erfolg: Rohloffs Alter Ego „Ronny“ machte mit Country deutscher Machart in den Sechzigern Karriere.

Für seinen Kollegen Bernd Steinwedel war es keine Überraschung, daß fortan die Volksmusikszene nach Oberneuland pilgerte: „Die Ronny-Produktionen klangen gut und waren erfolgreich. Dadurch hatte das Studio schnell einen rennomierten Namen.“ Technisch immer auf dem neuesten Stand zu sein, war und ist eines der Erfolgrezepte der beiden Musik-Perfektionisten. Vor allem aber sind die Möglichkeiten, mit großen Chören oder Orchestern unter dermaßen guten Bedingungen aufzunehmen, in der deutschen Studiolandschaft dünn gesät. Folglich lockt Bremens größter Aufnahmeraum, ein holzgetäfelter „Turnhallensaal“, volkstümliche Musikanten und andere aus Deutschland und Österreich an, vereinzelt gar echte Oberkrainer aus Slowenien. Natürlich sehr zur Freude der hiesigen Hotels und vor allem der Jugendherbergen in Worpswede und in der Martinistraße. Steinwedel: „Die sind für Kinderchöre natürlich ideal.“ Gerade waren die kommenden Shooting Stars der Volksmusik-Szene, Hannelore und die Sternkinder, zu Gast, aber auch Peter Alexander, Engelbert, Rudi Carell, sie alle waren schon mal da.

Die Idee, in der Zeitung zu stehen, behagt den beiden allerdings nicht so recht. „Da rufen nur ein halbes Jahr lang irgend welche Laien an und wollen Sachen wissen, die wir ihnen ohnehin nicht sagen können“, befürchtet Rohloff. Für Studio-Anfänger und Bands auf dem Demo-Tape-Level jedoch ist das Studio Nord nicht nur wegen des Stundenpreises von 220 DM wenig geeignet.

Stilistische Grenzen kennen die beiden zwar keine, wohl aber qualitative. „Schließlich fällt ein schlechtes Produkt immer auf das Studio zurück“, sagt Steinwedel. Von der Dorfpunk-Kombo bis zum Jugendblasorchester werde auch stilübergreifend die Zusammenarbeit verweigert, wenn das musikalische Niveau nicht ausreiche. Berührungsängste, oder gar Schwierigkeiten, sich vom krachledernen Dreiertakt auf flegelhafte Punker oder den Free-Jazzer aus New York einzustellen, hat er aber keine. „Gute Musiker um sich zu haben, ist super, egal aus welcher Richtung.“ Vor allem aber sei ihre Arbeit eine Dienstleistung, auf Professionalität wird sehr viel Wert gelegt. Steinwedel: „Um einen Stil gut aufnehmen zu können, muß ich ihn ja nicht mögen.“ Oder gar sich gar privat daheim damit zu beschäftigen. Zu Hause hören die beiden Perfektionisten nämlich überhaupt keine Musik mehr.

Lars Reppesgaard

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