: Lungenkrebs läßt wenig Zeit
■ Letzte Annehmlichkeiten für Sterbende im Krankenhaus Ost: „Wunschkost“, spätes Wecken und ein Bett für die Angehörigen/ taz-Serie „Sterben in Bremen“, Teil 2
Herr Doktor, was habe ich? Schwester, wieviel Zeit bleibt mir noch? Das sind die drängendsten Fragen der neuen PatientInnen auf den vier Stationen für Lungen- und Atemwegserkrankungen im Zentralkrankenhaus Bremen Ost. Vielleicht sagt der junge Arzt Stefan Ertel dann: „Sie haben einen bösartigen Tumor, der ist nicht mehr operabel. Mithilfe von Chemotherapie können wir das Wachstum des Tumoren nur bremsen. Wir versuchen aber, Ihnen zu helfen, wo wir können, damit Sie keine Schmerzen haben, und auch gegen die Luftnot läßt sich was tun.“
Wenige Tage danach fragt die Patientin erneut, als hätte sie keine Antwort bekommen: „Herr Doktor, was habe ich eigentlich?“ Die Verweigerung ist typisch zu Beginn der Auseinandersetzung mit dem eigenen Sterben. Dabei bleibt gerade LungenkrebspatientInnen oft nur noch wenig Zeit: Kleinzellige Tumore verdoppeln sich jeden Monat.
Diese erste Phase ist für alle Beteiligten im Krankenhaus die schwerste: Die PatientInnen wüten vor Angst, sie schimpfen über das Frühstück und über die geringsten Wartezeiten vor Untersuchungen ... „Wenn Sie dann aber wiederkommen zur dritten oder vierten Chemobehandlung, dann wird das Verhältnis besser, dann kennen sie auch die Schranken, was wir rankommen lassen und was nicht“, sagt die stellvertretende Stationsschwester auf Station 42, Silke Petersen.
Rund 50 Menschen sterben jedes Jahr auf ihrer Station. Trotzdem hat sie noch genauso Angst vor dem eigenen Tod wie zu Beginn ihrer Arbeit. In der Ausbildung war „Sterben“ kein Thema. „Die Patienten quälen sich ja auch ziemlich, sie wollen nicht mehr und können doch nicht loslassen“, sagt Kollegin Petra Gudat.
Tags haben die vier Schwestern pro Schicht keine Zeit, sich mal „so richtig“ zu unterhalten mit den PatientInnen – „man hat aber auch immer ein bißchen Angst vor dem Gespräch, weil man nicht weiß, wieviel der Patient verarbeitet hat“. Nachts ist nur eine Schwester auf Station. Dann gehen die schlaflosen Kranken die Gänge auf und ab, rauchen, trinken Kaffee und würden gern ein bißchen erzählen.
Trotz Zeitmangel versuchen die Schwestern, es den Todkranken so angenehm wie möglich zu machen: Geweckt wird erst um halb acht, gewaschen nur noch auf Wunsch, das kann aber auch drei mal am Tag sein. Dazu „Wunschkost“ – die Küche bemüht sich, auch ausgefallene Gerichte zu bereiten. Und im Stationskühlschrank steht immer ein Bier.
Angehörige können im Zimmer des Sterbenden ein Bett bekommen. Doch die Angehörigen haben oft große Ängste vor dem Krankenhaus und wollen nur beim Kranken bleiben, wenn auch die Schwester dabeibleibt, erzählt Schwester Petra Butt von der Nachbarstation. Die Krankenhauspsychologin Angelika Thiele rät den Angehörigen, zu ihrer Unsicherheit zu stehen: „Man kann durchaus sagen: Ich möchte alles gerne richtig machen, aber ich weiß nicht wie.“ Die PatientInnen fangen dann meist selber zu sprechen an.
Zu Angelika Thiele können alle Beladenen kommen. Allerdings nur die Kranken der vier Stationen für Lungen- und Atemwegserkrankungen, ihre Angehörigen und das medizinische Personal. Die anderen Abteilungen müssen mit den kirchlichen SeelsorgerInnen auskommen. An den anderen Krankenhäusern sieht es nicht viel besser aus: Das St.Jürgen-Krankenhaus hat noch nicht allzulang einen zentralen psychologischen Dienst, das Diako hat eine Psychologenstelle, das Josephsstift eine halbe....
Auf dem Tischchen liegt ein Päckchen Papiertaschentücher, die Lasche einladend aufgeklappt – bei Angelika Thiele wird viel gewütet und geweint. „Das ist wie eine Strafe“, sagen viele. Zum Beispiel die Frau, die als Kind schwer vernachlässigt wurde, immer geschuftet hat, von ihrem Mann geschlagen wurde, endlich aber einen liebevollen Partner fand, in der Fernsehlotterie gewann, sich ein Haus kaufte – und ein Jahr später unheilbar an Lungenkrebs erkrankte. Warum ich? „Oft rauchen diese Menschen, denen es immer so schlecht ging, viel, sehr viel.“
Ein entspannter Mensch hat weniger Angst – deswegen macht die Psychologin mit den PatientInnen progressive Muskelentspannung. Autogenes Training sei nichts, sagt Thiele, denn dann kommen die Gedanken. Einzelnen bietet sie außerdem eine Tiefenentspannung mit Visualisierung an: Von der Körpermitte her entsteht ein helles Licht, so die Vorstellung, ein Licht, das alles weit macht. „Alle dunklen Stellen in meinem Körper sind jetzt hell geworden“, hat eine Patientin danach gesagt.
Reif werden zum Tode, wie es die Sterbeforscherin Elisabeth Kübler-Ross ausdrückt, dafür wählt jeder und jede einen anderen Weg. Mit der einen Patientin unterhält sich die Psychologin ausführlich über den neuen Apfelbaum im Garten, der erst in zwei Jahren Früchte tragen wird, was sie gern erleben würde, aber nicht erleben wird, der aber dieses Jahr immerhin schon vier Blüten hatte.
Ein anderer plant minutiös seine eigene Beerdigung: Er läßt sich Kostenvoranschläge kommen, schaut sich den Friedhof an, läßt Karten drucken ... Er starb in Frieden. „Das ist was ganz Schönes, zu erleben, daß Patienten ihren Tod akzeptieren können“, erzählt Angelika Thiele, „das tut einem selber gut“. Christine Holch
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