„Bei uns will keiner gewählt werden“

■ In Kurdistan hat die PKK zum Wahlboykott aufgerufen / Das Militär will dennoch für eine hohe Wahlbeteiligung sorgen

Diyarbakir (taz) – Die Bewohner der kurdischen Gebiete der Türkei haben bei den Kommunalwahlen keine große Auswahl. Die prokurdische „Partei der Demokratie“ (DEP) hatte sich Ende Februar von den Wahlen zurückgezogen, um ihre Kandidaten vor Verhaftungen, Folter und Morden und ihre Büros vor Bombenattentaten zu schützen. Fast zeitgleich rief die verbotene „Kurdische Arbeiterpartei“ (PKK) zum Wahlboykott auf und drohte, BewerberInnen der bürgerlichen Parteien umzubringen. Seitdem sind täglich Berichte über entführte, verletzte oder erschossene Kandidaten und gesprengte Parteibüros zu hören. Aber nicht immer ist es sicher, daß die Überfälle durch die PKK erfolgten.

Trotz der enormen Gefahr haben sich jedoch nur wenige Kandidaten zurückgezogen. Nicht genannt werden möchte ein Kandidat, der sagt: „Der Staat findet uns schneller als die PKK. Deshalb kann ich nicht zurücktreten.“ Fast überflüssig war das von der PKK ausgesprochene „Verbot“ von Wahlversammlungen und Wahlpropaganda, denn neben den über die Straßen der Städte gespannten Parteiplakaten sieht man kaum Lautsprecherwagen, und Versammlungen finden fast nur in scharf bewachten Wahlbüros statt. Ein kurdischer Anwalt kommentierte die Situation mit den Worten: „Bei uns will keiner gewählt werden.“ Denn auch für die Zeit nach den Wahlen gilt das von der PKK verhängte Politikverbot.

In den ländlichen Gebieten muß an zentralen Orten abgestimmt werden. Als Wahllokale dienen nicht selten Gendarmerie- oder Polizeistationen. Das Militär hat angekündigt, Stimmberechtigte auf Lkws zu den Urnen zu transportieren. Da das Wahlverhalten weitgehend überprüfbar ist, muß die Bevölkerung im Falle von Wahlboykott oder ungültiger Stimmabgabe mit Repressalien der Sicherheitskräfte rechnen. Auf der anderen Seite wird die PKK versuchen, ihren Aufruf zum aktiven Boykott mit Waffengewalt durchzusetzen. Beobachter gehen davon aus, daß rund 30 Prozent der Wahlberechtigten die Abstimmung boykottieren werden. Ebenso erscheint es für die Bevölkerung relativ unbedeutend, welcher Kandidat von welcher etablierten Partei gewinnen wird. Für sie sind alle von der „Besatzermacht“ geduldete Politiker.

In ganz Türkisch-Kurdistan wird besonderes Augenmerk auf das Abschneiden der faschistischen Nationalen Bewegungspartei (MHP) gerichtet. 16 Jahre war es ihr nicht gelungen, in der Region ein Büro zu eröffnen. Doch nun könnte sie mit den Stimmen von türkischen Polizisten und Beamten zu einer politischen Kraft werden. Helmut Oberdiek