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Geisterbeschwörung in Mehl

■ Blanca Li im Tränenpalast und Doorjar in der Akademie der Künste

Als vor einigen Jahren das Theater Fura dels Baus das erste Mal in Berlin gastierte, schleppte mich meine Autonomenfreundin C. – die inzwischen ihre wilden Jahre hinter sich gelassen hat und Mutter von zwei Kindern ist – ins Tempodrom, der Spielstätte der spanischen Gruppe. Gut ausgerüstet mit dicker Lederjacke und festem Schuhwerk ging es ab in die Arena, in der sich die Zuschauermasse von halbnackten Theaterleuten hin- und hertreiben ließ, bedroht von schwingenden Autoreifen und jeder Menge Wasser, das durch die Gegend gespritzt wurde.

Ich gehörte zu den wenigen Feiglingen (?), die sich, durch die leeren Zuschauerränge spazierend, das Treiben lieber von außen anschaute. Nichtsdestotrotz habe ich mich im Theater selten so wohl gefühlt; und ein Mann in einem Aquarium, nur durch einen Luftschlauch mit dem Rest der Welt verbunden, gehört zu meinen bleibenden Theatererinnerungen. Mögen einem die Fotos von in Spiritus eingelegten, mißgebildeten Embryos, wie sie kürzlich auf diesen Seiten zu bewundern waren, vor allem faszinierend erscheinen – steht man davor, ist es eine ziemlich gruselige Angelegenheit, und ein ausgewachsener, lebender Mensch, der hinter Glas herumschwimmt und den Eindruck erweckt, nie geboren worden zu sein, gequält von Menschen, die Stäbe in dieses weiche Etwas bohren, ist es noch viel mehr. Es war ein martialischer Abend.

Wer sich aufmacht, um die zur Zeit im Tränenpalast gastierende ehemalige Fura-dels-Baus-Tänzerin Blanca Li und ihre gleichnamige Tanztruppe zu bewundern, kann seine Ledermontur zu Hause lassen. Blanca Li hat, in ästhetischer Hinsicht, die wilden Jahre hinter sich gelassen, ohne dadurch an Kraft zu verlieren. Nicht um eine karthartische Lust an der Grausamkeit geht es, sondern um das genaue Gegenteil: „Nana Lila“, ein Stück für neun Tänzerinnen und fünf afrikanische Percussionisten, in dem sich Flamenco, moderner Tanz und afrikanische Percussion-Musik verbinden, will die Grausamkeit vergessen machen. Die Musik steht in der Tradition der Sklaven, die aus dem Sudan und Mali nach Marokko kamen und im Trommeln Trance und Linderung suchten.

Ein wenig flach und folkloristisch beginnt der Abend, durchdrungen von einem Tempo, das sich keine Sekunde der Stille und Entspannung erlaubt. Die Compagnie de Danse Blanca Li zeigt geradezu eine Überpräsenz, in der sich die Qualität zu einem Totschlageffekt verkehrt: Im energiegeladenen Klammergriff des Bühnengeschehens wird man von Apathie befallen. Die einzelnen Tanzsequenzen des Anfangs folgen rasch aufeinander und scheinen weniger der Entfaltung eines bestimmten inhaltlichen oder sonstigen Gehalts zu dienen als vielmehr der Vorstellung der einzelnen Künstler – und tatsächlich dienen sie auch dazu: So stellen sich zwischen den einzelnen Tanzstücken die Musiker – die sonst am Rand sitzen – in einer Reihe auf die Bühne, einzelne treten hervor und zeigen ihr artistisch-tänzerisches Können.

Was als Schwäche erschien, wandelt sich in Stärke: Die Gruppe behält das unglaubliche Tempo, das sie zu Beginn anschlägt, nicht nur bei, sie steigert es im Laufe des Abends. Die tänzerische Kraft zeigt sich nicht nur potentiell, in ihrer Geschmeidigkeit und körperlichen Virtuosität, sondern in ihrer Totalität. Die Kraft selbst ist das Thema dieses Abends, und man wird Zeuge eines Aktes, in dem sich die Tänzerinnen im wahrsten Sinne des Wortes die Seele aus dem Leib tanzen: eine Geisterbeschwörung. Eine Lust des Körpers und der Bewegung, die einem das Thema des Abends (Vergessen durch Trance) tatsächlich nahe bringt.

In der allerletzten Sequenz wühlen die Tänzerinnen ihre Gesichter und Haare in weißem Mehl, und so, verschmiert und ergraut, bekommen ihre unablässigen Zuckungen eine gespenstisch-entrückte Dimension. Hier geschieht, was dem Abend insgesamt sicher gut getan hätte – mehr Mut zur und Lust an der Häßlichkeit. Das Publikum des (wirklich wunderbaren und berstend vollen) Tränenpalastes, der mit seinen Nischen und Bars Theater zum Happening werden läßt, tobte vor Begeisterung.

Anders wird es zur selben Zeit wohl beim Festival X94 zugegangen sein. Am zweiten Abend fanden nur noch einige verlorene Besucher in die weichen Sitze der Akademie, um dem zweiten Teil der Ballett-Trilogie der Gruppe Doorajar beizuwohnen. Was gezeigt wurde, war keine Katastrophe, aber den großen Atem hatte der Abend nicht. Warum man für teures Geld diese Gruppe, die schon des öfteren in Berlin gastierte, aus den USA herbeikarrte, wird ein Geheimnis der Verantwortlichen, Claudia Burkhard, bleiben. Ein Gespür für künstlerische Qualität hat sie bei der Zusammenstellung des Tanzprogramms nicht gerade bewiesen. Ein Flop nicht nur für das Festival, sondern auch für die Akademie der Künste, die in letzter Zeit mit ihrer Auswahl von Tanzgruppen mehr als einmal daneben lag. Michaela Schlagenwerth

Die Compagnie de Danse Blanca Li ist noch bis zum 7.4. zu sehen, täglich 20.30 Uhr, Tränenpalast, am Bahnhof Friedrichstraße.

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