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Baal vom Prenzelberg

■ taz-Serie Teil III: Ein gewisser Jo Fabian aus Berlin

Ein gewisser Jo Fabian, hört man, ist auf Kampnagels Tanztheaterwochen eingeladen. Fabian, munkelt man, könnte bald ständig auf Kampnagel arbeiten. Aber über einen gewissen Jo Fabian aus Berlin kann man nur noch aus der Erinnerung reden. Über jenen nämlich, dessen Name im letzten Sommer noch als Codewort für Qualität jenseits aller Qualität, als Chiffre ästhetischen Dissidententums zischelnd von Ohr zu Ohr ging, waltet das Präteritum. Ehern, sentimental, ein klein wenig verlogen.

Denn Fabian war für viele der Gott Baal des Prenzlauer Bergs, eine - nicht weniger als theatrale - Gegenfigur des Theaters zum Offiziösen der lärmenden Volksbühne und des verrotteten Schillertheaters. Einer, der Theater machte wie niemand anderes und alles für null Mark. Der dichtete, komponierte und choreographierte: Ein Fruchtbarkeitsgott der Legende wurde als Widerstandskämpfer und Kraftspender für eine abwechselnd von Minderwertigkeitskomplex und Größenwahn geplagte freie Szene. Doch der Glorienschein, den man ihm verpaßte, verträgt das Licht der Öffentlichkeit, an das ihn jetzt die Kulturveranstalter und Festivalmanager holen, schlecht: Mit dem Kult stirbt der Gott - und Fabian? Er lebe!

Wahrscheinlich begann seine Karriere als er einst, noch zu DDR-Zeiten, am Regie-Institut abgelehnt wurde und stattdessen Schauspiel studierte. Stagnatives Theater sei das damals gewesen, sagt er. Und schon bei seiner ersten Regie, in Meiningen, ging es darum, dem „Theater eins in die Fresse“ zu geben: zwei Stunden mit Messer und Milchflaschen in slowmotion über die Bühne, als Keimzelle eines skandalträchtigen „Bewegungstheaters“. Sein „katagraphisches“ Theater entwickelte eine „Bewegungschoreographie für nichtlinear strukturierte Inhalte“, tönt es aus den stets aufwendig gestylten Infomappen. Jedenfalls bildete sich dort etwas heraus, das sich als Reaktion auf den verordneten Realismus den Definitionen verweigert. Sein Traum sei, sagt er, daß man Tänzer und Schauspieler nicht mehr auseinanderhalten könne. Dann aber fallen auch die Genregrenzen, und schließlich attackiert er immer wieder die letzte, komplizierteste: die zwischen Publikum und Theater.

Zum Beispiel wenn im Stück Keine Gnade der Schauspieler sich an den Rand der winzigen Bühne setzt und die maximal achtzig Zuschauer mit makabren Witzen quält, die zum Losbrüllen sind und gleichzeitig das Lachen verbieten. „Ein bißchen Spaß muß sein zwischendurch“, unterbricht er sich und beobachtet seinerseits das keuchend in die eigenen Fäuste verbissene Publikum. Politisches Theater, sagt Fabian, ist heute nicht mehr definiert. Doch sein Versuch, „ent-ideologisiertes“ Theater zu machen, hat nicht Unpolitisches hervorgebracht. Hervorgebracht hat er ein Theater, das seinen Kern in der Verweigerung hat. Wie zum Beispiel im Stück von der Letzten tanzenden Kommunistin vom Prenzlauer Berg, in dem die Titelheldin gar nicht erst auftritt: Also nicht Darstellung konkreter Utopien oder gar der ästhetisch-schönen Freiheit von spielenden und tanzenden Individuen, sondern Entindividualisierung, Typisierung und schließliches Zerbrechen aller Einheiten. - Und trotzdem, nie ist das, was auf der Bühne sich ereignet, abstrakt oder theoretisch. Im Gegenteil: Fabian inszeniert mit einer Lust, daß uns „vor Lachen schlecht wird“. Nicht weniger oder mehr, sondern genau das.

Das Fluktuieren zwischen Konstruktion und Zerstörung war es, daß das winzige Theater unter dem Dach in der Dimitroffstraße für eine kurze Zeit zur Pilgerstätte No. 1 des Prenzlauer Bergs werden ließ. Der überwältigende Perfektionismus von Fabians Bühne, das glänzende Spiel mit dem Spiel inmitten grauer Plattenbauten, diese Insel der Seligen brauchte die Aura des Geheimtips, um als Kraftspenderin manchen geknickten Ossi und verlorenen Wessi wieder aufzurichten. Das ist vorbei: Dieser Fabian ist tot. Doch es lebe Fabian. Noch wissen wir nicht, welcher.

Stefan Rosinski

„Whisky and Flags“, 19. bis 21. April, Halle 1, 20 Uhr;

am 5. April endet die Serie mit dem Bericht über die Gruppe Coax.

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