: Wer knüpft den Ikea-Teppich?
■ Vorwürfe hageln auf Ikea: Mangelnde Gleichberechtigung, Kinderarbeit
Jetzt ist es sogar schon so weit, daß die Banken bei mir anrufen und fragen, was eigentlich los ist.“ Ikea-Gründer Ingvar Kamprad, seit 17 Jahren schon in der steuerfreundlicheren Schweiz zu Hause, ist bekümmert und kann es nicht verstehen: „Dabei stieg unser Umsatz in einem Jahr von 23 auf 33 Milliarden Kronen.“ Doch nicht der Umsatz des Konzerns mit rund sieben Milliarden Mark ist ins Gerede gekommen; es sind einige Geschäfte, die Organisation und die Zukunft des Möbelhauses aus Schweden.
Der vorläufig letzte imageschädliche Schlag: Ikea verkauft Teppiche aus Pakistan, die dort von Kindern in Sklavenarbeit hergestellt werden. Zur besten Sendezeit verbreitete das schwedische Fernsehen in der vergangenen Woche aufrührende Bilder: Kinder, oft gerade erst vier Jahre alt, teilweise an den Webstühlen festgekettet, knüpfen in Pakistan Teppiche. Der Eigentümer der Webstühle erklärt dem Reporter freundlich, daß man schon einmal „streng“ sein müsse, schlagen, festketten müsse, falls die Kinder die zwölf- bis vierzehnstündige Arbeitszeit nicht schafften. Aber sie hätten alle ihre Schulden abzuarbeiten, Schulden ihrer Eltern, und seien jedenfalls viel besser zum Knüpfen geeignet als Erwachsene. Monatelang knüpfen die Kinder an einem Teppich, der dann als „garantiert handgeknüpft“ im Sortiment von Ikea landet.
Nicht nur in Pakistan gibt es diese Kindersklavenarbeit im Teppichknüpfgewerbe, und beileibe nicht nur Ikea verkauft diese Waren. Doch die Medien werfen dem Elch vor, sich bislang nicht darum gekümmert zu haben, wo die Teppiche herkommen und wie sie entstehen.
Die Zeitungsschlagzeile: „Sklavenarbeitende Kinder knüpfen Ikea-Teppiche“ war nur die letzte in einer Folge, die für das „unmögliche Möbelhaus“ bislang höchst ungewöhnlich waren. Da hält man sich einiges auf das gute Betriebsklima zugute, und dann stellt sich heraus, daß es unter der Decke des kumpelhaften Umgangs massive Kommunikationsprobleme gibt. Da veranstaltet der Konzern passend zum Frauentag ein Gleichberechtigungsseminar, bei dem sich peinlicherweise herausstellt, daß es Gleichberechtigung auf der Führungsebene nicht gibt: „Katastrophensituation – weibliche Chefs ein Fremdwort bei Ikea“, lautete prompt die nächste Schlagzeile.
Und das zu allem Überfluß in einer Situation, in der es auch – zumindest für die schwedische Konzernmutter, die übrigen Konzernzahlen sind weiterhin Betriebsgeheimnis – auch ökonomisch alles andere als gut läuft. Im letzten Jahr wurden für umgerechnet rund 50 Millionen Mark weniger Möbel beim schwedischen Elch gekauft, und die teilweise schlechte Qualität der Möbel scheint sich zu einem immer größeren Problem aufzubauen. Nach einem internen Rapport, aus dem die Stockholmer Tageszeitung Dagens Nyheter zitierte, soll mangelnde Qualität und schlechter Service im letzten Jahr Ikea über 300 Millionen Mark gekostet haben. So viel, wie 6.200 Angestellte in einem Jahr an Personalkosten verursachen. Zwar wurden 1993 keine roten Zahlen geschrieben, doch die Ertragslage war mit einem Minus von 20 Prozent gegenüber dem Vorjahr wesentlich ungünstiger als erwartet. Nachdem im letzten Jahr in der Ikea-Zentrale im südschwedischen Älmhult bereits 59 Beschäftigten gekündigt wurde, sollen jetzt weitere 150 Entlassungen allein dort anstehen. Weniger Beschäftigte hatte es in der 50jährigen Ikea-Geschichte noch nie gegeben. Das ständige Wachstum des Konzerns in den letzten Jahren hat nach Meinung von KritikerInnen zu einer ineffektiven Bürokratie geführt, die über die Leitung und die Beschäftigten in den Warenhäusern hinwegregiert. Der zitierte interne Rapport spricht von großen Kommunikationsproblemen zwischen Geschäftsführungen und Beschäftigten sowie einer umfassenden Unzufriedenheit bei den Angestellten. Der schwedische Ikea- Chef Anders Moberg gibt zu, daß man unter den Nachwirkungen der guten 80er Jahre leide: „Wir hatten große Ambitionen und wurden von der plötzlichen Flaute aufgeweckt.“
Der Versuch, nun auch den AmerikanerInnen Sten, Ivar und den restlichen skandinavischen Wohnstil schmackhaft zu machen, ging in die Hose. Der US-Ableger von Ikea ist das reinste Kronengrab geworden. Und auch in Frankreich und Deutschland zeigen die Zahlen nur wegen ständiger geographischer Expansion noch nach oben. Die bestehenden Warenhäuser haben nicht oder enttäuschend wenig zugelegt. Oder sogar real an Umsatz verloren wie die 13 Warenhäuser in Schweden.
Neben dem Abbau von Personal soll nun der Katalog dünner und das Warensortiment gestrafft werden. Durchweg zehn Prozent sollen bei den Kosten eingespart werden, die Lieferanten wurden gezwungen, ihre Preise um bis zu 15 Prozent zu senken. Viele konnten da nicht mithalten: Jedem fünften Lieferanten wurden die Geschäftsverbindungen aufgekündigt. Mit einer Kampagne „Neue Lage“ soll versucht werden, beim Personal wieder etwas von der Ikea-Euphorie der achtziger Jahre zu wecken. Kritik der Beschäftigten: Das Aufwachen komme viel zu spät. Seit Jahren habe sich der Ikea-Niedergang angekündigt, ohne daß man reagiert habe.
Tatsächlich hat gerade in Skandinavien der Verkaufsverlust für Ikea seine Ursache nicht in einem zurückgehenden Möbelmarkt: Die Konkurrenz ist besser geworden, nimmt Ikea-Marktanteile mit ähnlichem Rezept, aber besserem Service und teilweise auch deutlich besserer Qualität weg. Und wer zum fünften Mal vergeblich nach einem im Katalog angebotenen Produkt gefragt hat, kündigt Ikea auf Dauer die Gefolgschaft und geht beim nächsten Mal eben gleich zur flexibleren und ähnlich preisgünstigen Konkurrenz, die den Wareneinkauf offenbar besser planen kann als der wasserköpfige Elch. Reinhard Wolff, Stockholm
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