In Gesetzeslücken verloren

Ein in Köln lebender Türke erhält trotz hundertprozentiger Schwerbeschädigung nach einem rassistischen Angriff keinen Pfennig Entschädigung  ■ Aus Köln Detlef Schmalenberg

Nur mühsam kann sich Ahmed A. verständigen. Wenn er redet, holpern aus dem Mund des 32jährigen Türken, der früher gut deutsch sprach, nur einige schwer verständliche Worte. Ahmed A. ist seit 1989 zu hundert Prozent schwerbehindert – er ist teilweise gelähmt, versteht oft nicht, was um ihn herum passiert. In seiner Wohnung muß er ständig betreut werden.

Im Januar 1989 wurde A. in einer Kneipe im Kölner Stadtteil Kalk so brutal verprügelt, daß er zwei Jahre lang im Krankenhaus liegen mußte. Eines davon im Koma. Der sturzbetrunkene Schläger hatte ihm, noch bevor er sich ein Bier bestellen konnte, einen Kopfstoß versetzt. Danach trat der schon mehrfach Vorbestrafte dem bewußtlos am Boden liegenden Opfer noch ins Gesicht.

Eine Entschädigung für die Mißhandlungen hat der Vater von sechs Kindern nie erhalten. Bei dem arbeitslosen Täter, der nach seiner Haftstrafe von einem Jahr und neun Monaten wieder auf freiem Fuß ist, wird nichts zu holen sein.

Gerade bei solchen „Fällen“, oder dann, wenn die Täter, wie bei den meisten rechtsextremistischen Anschlägen, nicht ermittelt werden können, greift normalerweise das deutsche „Gesetz über die Entschädigung für Opfer von Gewalttaten“. Je nach Sachlage kann der Staat danach sowohl eine Rente als auch eine einmalige Entschädigung zahlen.

Ahmeds Schicksal indes hatte der Gesetzgeber ursprünglich nicht vorgesehen. „Ausländer haben keinen Anspruch auf Versorgung wenn die Gegenseitigkeit nicht gewährleistet ist“, hieß es bis Ende 1992 in den geltenden Richtlinien. „Gegenseitigkeit“ in diesem Zusammenhang bedeutete, daß es in dem Heimatland der Betroffenen eine entsprechende Regelung für Deutsche geben mußte. In der Türkei haben Bundesbürger jedoch keinen Entschädigungsanspruch. In Deutschland sollte Ahmed A. daher auch leer ausgehen.

Nach dem Brandanschlag in Solingen wurde das Gesetz geändert. Doch A. und seine Familie blieben wiederum auf der Strecke. Seit Januar 1993 sieht das deutsche Opfer-Entschädigungsgesetz nun auch Hilfe für Ausländer vor, aber nur dann, wenn die Mißhandlungen nach dem 30. Juni 1990 stattgefunden haben. Die Tortur des 32jährigen Türken in Köln hatte eineinhalb Jahre früher begonnen.

Seine „Berufsunfähigkeitsrente“ beträgt heute 1.569,70 Mark. Hinzu kommen monatlich noch Kinder- und Pflegegeld sowie rund 400 Mark von seinem früheren Arbeitgeber, der Deutschen Bundesbahn, wo er fast zwölf Jahre als Rangierer gearbeitet hat. Mehr schlecht als recht kann sich die achtköpfige Familie mit dem Geld über Wasser halten. Zurück in die Türkei wollen sie nicht. „Dort sind sie Fremde“, sagt Suleyman A. (25), der die Vormundschaft für seinen Bruder übernommen hat. Mit 15 Jahren war Ahmed nach Deutschland gekommen. Alle Kinder sind hier geboren, sein Vater lebt bereits seit 1969 in Nordrhein-Westfalen.

„Schließlich hat er Steuern und Sozialabgaben gezahlt, dann darf man ihn von der Geltung des Gesetzes nicht ausschließen“, empört sich seine Kölner Rechtsanwältin Claudia Marquardt. Von „der Stadt oder vom Staat“ habe sich nie jemand für das Schicksal des Schwerstbehinderten interessiert, ergänzt sein Bruder. Der zuständige Richter am Amtsgericht Köln hatte dem Mißhandelten gar ins Gewissen geredet. Er attestierte ihm ein „höchst unvernünftiges Verhalten“. Im Urteil heißt es wörtlich: „Der (Ahmed A., d.R.) hatte vernünftigerweise erstens um die Tatzeit (etwa zwei Uhr morgens, d.R.) und zweitens in einem Discogeschäft als vielfacher Familienvater nichts zu suchen und mißachtete zudem die zwar zu mißbilligenden, aber nicht zu übersehenden Probleme, die ein Ausländer hat, wenn er allein in die Gesellschaft mutmaßlicher Einheimischer geht.“

Ahmed A. versteht nicht mehr, was dort geschrieben steht. „Sollte dies das einzige sein, was der Staat, der schon lange unsere Heimat geworden ist, meinem Bruder als Entschädigung für sein zerstörtes Leben bietet?“ fragt sich Suleyman A. So wird es denn wohl auch kommen. Zwar sieht das Gesetz bei Härtefällen auch Ausnahmen vor, doch die „Dead-Line“ vom 30. Juni 1990 könnte nicht umgangen werden, meint der CDU-Abgeordnete Andreas Schmidt, Mitglied im Rechtsausschuß des Bundestages. Er habe den Fall noch einmal „eingehend überprüft“ und ihn mit dem Referenten des zuständigen Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung besprochen: „Leider ist da nichts zu machen. Hätte die Mißhandlung erst vor kurzem stattgefunden, wäre eine Entschädigung wohl kein Problem.“