: "In die Mühle"
■ zu Ernst Noltes Auftritt bei "Talk im Turm" (Sat. 1)
Ernst Nolte, der „Vater“ des Historikerstreits, durfte am Sonntag abend den „Talk im Turm“ von Sat.1 nutzen, um seine Thesen dem Fernsehpublikum vorzutragen. Nolte stellt seit fast zehn Jahren die Singularität des Holocaust infrage, indem er Vergleiche mit dem Gulag zieht. Der Auschwitz-Relativierer war zu einer Diskussion über Steven Spielbergs Film „Schindlers Liste“ geladen.
Um es gleich vorwegzunehmen: Selten hat sich jemand gekonnter in eine Außenseiterposition gebracht als dieser teutsche Professor. Seine Gesprächspartner ließen sich nicht mit ihm ins Gespräch bringen. Lea Fleischmann, Sigrid Löffler, Gertrud Ferrari, eine Nichte Schindlers sowie der Politologe Julius H. Schoeps und Branco Lustig (Produzent von „Schindlers Liste“) beschwiegen überwiegend die von Nolte geforderte „Erweiterung der Erinnerung“ auf die Ermordung der Kulaken durch Stalin. Sie wollten über den Film reden. Nur Talk-Master Erich Böhme versuchte ein wenig zu oft und zu nett, eine Kontroverse um Nolte zu erzeugen.
Noltes zulässige Geiselerschießungen
Der erste Redebeitrag Noltes beginnt mit folgenden Sätzen: „Ich erinnere an einige Ereignisse dieses Krieges. 1944 in der Via Rosella in Rom findet ein Anschlag auf eine marschierende deutsche Kolonne statt, 33 Soldaten sind tot, 330 Geiseln werden erschossen. Das ist bis heute in Italien ein ganz großes Thema. Ich würde aber sagen, nach der damaligen Völkerrechtslehre waren nach der überwiegenden Meinung Geisel- erschießungen zulässig, so schrecklich das ist. Ein Ereignis innerhalb eines großen Krieges.“
Nolte kommt dann auf das SS- Massaker in Babi Jar zu sprechen. In diesem Ort bei Kiew wurden am 29. September 35.000 jüdische Einwohner Kiews erschossen, weil durch eine Bombenexplosion in der Stadt 300 deutsche Soldaten getötet worden waren. Diese Vergeltung bemängelt Nolte, weil man den jüdischen Einwohnern Kiews die Urheberschaft der Bombe nicht habe nachweisen können. Und weil das – offenichtlich in Noltes Augen gerechtfertigte – Prinzip „Einer von uns, zehn von euch“ hier „unverhältnismäßig“ auf 1 : 100 erweitert worden sei. Mit anderen Worten: 3.500 Zivilisten hätte man erschießen dürfen, wenn es sich um einen repräsentativen Querschnitt aus der Bevölkerung Kiews gehandelt hätte.
Es herrscht zu diesem Zeitpunkt bereits eisiges Schweigen bei Teilnehmern und Zuschauern angesichts Noltes Ungeheuerlichkeiten, die darin gipfeln, daß jüdische Widerstandskämpfer zu Recht „in die Mühle“ gehört hätten. Selbst das Feuilleton der FAZ, einst Podium für Noltes Thesen, distanzierte sich gestern unter der Überschrift „Unfaßbar“ vom Professor. Beklagt wurden Noltes „herzlose Formulierungen“ und „professorale Kälte“. Er habe „die Gefährlichkeit des Mediums unterschätzt“.
Bei „Talk im Turm“ kommt Nolte nun auf Katyn zu sprechen – das Massaker des NKWD an polnischen Offizieren. „Irgendwie sauber, wenn ich es mal so ausdrücken darf“, weil ideologisch begründet und demnach ein rationaler Vorgang. Erkennen könne man daran, daß der Zweite Weltkrieg Teil eines „ideologischen Weltbürgerkrieges“ gewesen sei, der dieses Jahrhundert bestimmt habe. Aber ein Krieg hat ja nun mal zwei Parteien: Man ahnt, was da kommt.
Denn nun geht es mit Nolte nach Auschwitz: Die Deutschen waren die andere Seite, die „Irrationalisten des ideologischen Krieges“. Aber immerhin doch eine Seite des Krieges, nicht wahr? Man müsse dies bedenken. Unruhe, erster Protest in der Runde.
Weiter Nolte: Trotz perfekter industrieller Organisation bleibe die Vernichtung ein „irrationaler Vorgang“, nur die Reaktion auf etwas anderes. Schließlich hätte sich mitten im Krieg ein SS-Offizier vor dem SS- und Polizeigericht wegen der grausamen Ermordung von Juden zu verantworten gehabt – nicht wegen der Ermordung wohlgemerkt, sondern wegen der „grausamen Ermordung“. Dies sei nämlich „eines deutschen Menschen unwürdig, und er wendet bolschewistische Methoden an“.
Was lernen wir daraus? „Es gibt nämlich eine Verbindung zwischen dem einen und dem anderen, zwischen diesem Teil Protagonisten des ideologischen Krieges und jenem.“ Man dürfe diese Beziehung zwischen dem welthistorischen Phänomen „Bolschewismus“ und dem Phänomen „Vernichtung der Juden“ nicht außer acht lassen. Denn das Gerichtsurteil „beweist“ ja, daß der Nazi-Terror nur eine Reaktion auf einen anderen Terror darstellt. „Wir“ haben nur reagiert, wenn auch mit „überschießender Energie“.
Das ist interessant und scheint jetzt Mode zu werden: SS-Gerichte und SS-Reichsführer Himmler als authentische, glaubwürdige Zeugen der neu-rechten Geschichtsschreibung – unlängst brachte es ein Will Tremper in der Welt fertig, unter Berufung auf Himmlers Darstellung die Wirklichkeitstreue von Spielbergs Film in Zweifel zu ziehen.
Eigentliches Thema von „Talk im Turm“ waren die mögliche Wirkung, die Authentizität und die moralische Legitimität des Schindler-Films. Tatsächlich hat sich Nolte an dieser Diskussion nicht beteiligt. Wie ein trotziges Kind bestand er darauf, unabhängig vom zwischenzeitlichen Diskussionsverlauf wieder und wieder auf seine Abstrusitäten zurückzukommen, die, wenn sie nicht so gefährlich wären, rechts liegengelassen werden könnten. Aber Noltes Lehren haben erheblich dazu beigetragen, daß in Deutschland wieder Synagogen und Menschen brennen.
Der Vordenker hat sich kräftig blamiert
Die Talk-Gäste haben mit bemerkenswerter Souveränität die Torpedierungsversuche Ernst Noltes nicht nur abgeblockt, darüber hinaus hat sich der Vordenker der neuen Rechten kräftig blamiert. Wenn das eine mögliche Antwort auf die Frage „Mit Rechten reden?“ war, braucht einem am Beginn des „Superwahljahres“ nicht bange zu sein. Nolte ist ja nicht irgendwer. Uwe Soukup
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