Sechs Palästinenser in Gaza getötet

Fortgang der palästinensisch-israelischen Gespräche erneut ungewiß / Demonstrationen in den besetzten Gebieten gegen erneute Todesschüsse israelischer Soldaten  ■ Aus Tel Aviv Amos Wollin

Als Araber verkleidete Mitglieder einer israelischen Sondereinheit des Militärs haben in der Nacht zum Dienstag sechs Palästinenser im Norden des Gaza-Streifens erschossen. Drei Passanten blieben schwer verletzt auf der Straße liegen. Nach diesem erneuten Massaker im Flüchtlingslager Jabaliya kam es noch in der gleichen Nacht zu großen Protestdemonstrationen der Palästinenser in den besetzten Gebieten, Jugendliche bewarfen israelische Truppen in den Städten der Westbank mit Steinen. Jassir Arafats Fatah-Fraktion, die größte Organisation der PLO, rief zu einem dreitägigen Generalstreik in den besetzten Gebieten auf. Auf den erneuten Ausbruch von Verzweiflung, Empörung und Wut in den besetzten Gebieten reagierten die israelischen Besatzungsbehörden mit massiven Militäreinsätzen. Schon in den Nachtstunden wurden weitere 35 Palästinenser verletzt und einer erschossen. In Nablus und im gesamten Nordteil des Gaza-Streifens wurden Ausgangssperren verhängt.

Auch wenn es jetzt in Kairo zu dem geplanten Abschluß der israelisch-palästinensischen Verhandlungen über gemeinsame Sicherheitsvorkehrungen in Hebron kommt, werden die neuesten Erschießungen in Gaza eine sofortige Wiederaufnahme der bilateralen Gespräche über die Verwirklichung einer Teilautonomie im Gaza-Streifen und in Jericho höchstwahrscheinlich unmöglich machen.

Nach Einschätzung der PLO in Tunis wird es angesichts der Lage in den besetzten Gebieten notwendig sein, den Beginn der Autonomie-Gespräche auf die kommende Woche zu verlegen. Bei der palästinensischen Bevölkerung hat die Verbitterung über die „kriecherisch-unterwürfige“ Haltung der PLO-Führung in Tunis den israelischen Vertretern gegenüber einen neuen Höhepunkt erreicht, den der PLO-Vorsitzende Arafat nicht ungestraft ignorieren kann.

Die sechs erschossenen Palästinenser im Flüchtlingslager Jabaliya waren Mitglieder einer Unterorganisation der Fatah mit dem Namen Fatah-Falken. Sie wurden von den verkleideten Soldaten erschossen, nachdem sie Flugblätter über die Funktion der im Rahmen der Teilautonomie geplanten palästinensischen Polizei verteilt hatten und in zwei zur Abfahrt bereitstehende Autos steigen wollten.

Augenzeugen berichteten, daß die Fatah-Leute unbewaffnet waren, als die Israelis das Feuer auf sie eröffneten. Daß sich in ihren beiden Autos insgesamt zwei Gewehre und zwei Pistolen befanden, wird von palästinensischer Seite nicht bestritten. In Gaza sind mittlerweile auch viele palästinensische Autofahrer aus Gründen des Selbstschutzes bewaffnet, obwohl ihnen das Tragen von Waffen verboten ist. All das ist natürlich auch den israelischen Besatzungsbehörden bekannt. Die Fatah-Aktivisten in Jabaliya stellten jedenfalls keinerlei Gefahr für die vermummten israelischen Schützen dar. Sie standen auch nicht auf den Listen der von Israel „gesuchten“ Palästinenser.

In den Verhandlungen über Sicherheitsmaßnahmen in Hebron ist Israel bislang bereit, maximal 100 palästinensische Polizisten und 100 Norweger oder Rotkreuz-Mitarbeiter als „internationale Beobachter“ zuzulassen. Dies allerdings unter der Bedingung, daß Israel auch weiterhin allein für die „Sicherheit“ in Hebron zuständig bleibt und daß die Frage der israelischen Siedler kein Thema auf der Tagesordnung der israelisch-palästinensischen Verhandlungen darstellt.

Israelische Regierungskreise sind jetzt der Ansicht, daß die Verhandlungen über eine Teilautonomie nicht vor Mitte Mai abgeschlossen werden können. Gleich danach will sich die Regierung den Verhandlungen mit Syrien zuwenden. Weitere Schritte in der Westbank, die mit der PLO in Oslo beschlossen wurden, sollen einstweilen auf Eis gelegt werden.