: Der Nato ist die Türkei strategisch wichtiger denn je
■ Seit 20 Jahren bleiben türkische Menschenrechtsverletzungen unkommentiert
Mit der Besetzung des Nordens Zyperns vertrieben türkische Truppen Ende Juli 1974 Zehntausende griechischstämmige Einwohner in den Süden, und unter den Nato-Verbündeten regte sich nicht der Hauch eines Protests gegen diesen schweren Völkerrechtsbruch. In den vergangenen 20 Jahren haben die Nato-Staaten zu keinem Zeitpunkt die Türkei unter Druck gesetzt, die Besetzung zu beenden. Inzwischen ist durch Dokumente und Aussagen längst belegt, daß die Invasion mit Unterstützung der damaligen Regierungen in Washington und London erfolgte und daß die Regierungen in Bonn und den meisten anderen Nato-Staaten vorab informiert worden waren.
Mit der Besetzung wurden die Absichten der damaligen Regierung Zyperns zur vollständigen Demilitarisierung der Insel vereitelt. Und mit dieser hätten die Briten ihren großen Stützpunkt im Süden Zyperns schließen und die USA ihren Plan aufgeben müssen, im Norden einen Militärflughafen zu bauen. Nur dreißig Flugminuten von Beirut entfernt spielte Zypern mindestens bis Ende der achtziger Jahre für die Vereinigten Staaten und die Nato gegenüber dem Nahen Osten eine wichtige strategische Rolle.
Als „Südost-Pfeiler“ galt die Türkei für die Nato immer als der „verläßlichere“ und „proamerikanischere“ Partner als Griechenland. Im Fall eines Krieges mit den Warschauer Vertragsstaaten hätte die Türkei den Zugang der Nato- Seestreitkräfte zum Bosporus und den Dardanellen sichern sollen. Gegen die Stationierung atomarer Waffen der USA in der Türkei gab es ebenfalls keine Proteste.
Mit zahlreichen Einwänden gegen die Atomwaffenpolitik der Nato wurde Griechenland hingegen in den 80er Jahren zum „lästigen“ Partner. Insbesondere die Regierung Papandreous übte ab 1981 immer wieder deutliche Kritik an der Nutzung militärischer Einrichtungen auf griechischem Boden seitens der Nato und der USA. Als die Nato-Regierungschefs auf dem Brüsseler Gipfel im Herbst 1981 Papandreous Forderung nach einer Garantieerklärung für die griechische Grenze mit der Türkei ablehnten, verhinderte der Regierungschef – bislang einmalig in der Nato-Geschichte – die Verabschiedung einer gemeinsamen Gipfelerklärung.
Seit dem Fall der Berliner Mauer und dem Zerfall der UdSSR ist die strategische Bedeutung der Regionalmacht Türkei mit ihren Grenzen zu Syrien, Iran, Irak, Armenien, Georgien, Griechenland und Bulgarien für die Nato noch erheblich gestiegen. Mit der aktiven Beteiligung an der US- geführten Allianz im Krieg gegen Irak gab die Regierung in Ankara 1991 ihre traditionell neutrale Haltung in Nahost-Konflikten auf. Im Kalkül der Strategen in der Nato ist der Türkei inzwischen die Rolle des Bollwerks gegen erstarkte „antiwestliche“ Mächte im Nahen Osten sowie des Integrators der zentralasiatischen Republiken der Ex-UdSSR in den Westen zugedacht. Die Türkei sei am ehesten willens und in der Lage, „stabilisierend“ auf die ethnischen Konflikte im Kaukasus einzuwirken und damit den Einfluß des Iran zu begrenzen, kalkuliert man in der Nato. Die Lieferungen von Waffen aus Nato-Staaten an die Türkei – darunter eine große Zahl hochmoderner, angriffsfähiger Kampfflugzeuge – sind seit 1991 massiv gestiegen. 1992 war die Türkei unter allen Industriestaaten bereits der drittgrößte Waffenimporteur.
Als ähnlich wichtig wie für den Nahen Osten und Zentralasien gilt die Türkei ihren Nato-Verbündeten inzwischen auch bei der Suche nach politischen Lösungen der Konflikte in Ex-Jugoslawien. Die beiden kroatisch-muslimischen Abkommen, die am 18. März in Washington unterzeichnet wurden, wären ohne das monatelange Engagement türkischer Diplomaten hinter den Kulissen nicht zustande gekommen. Um diese Rolle nicht zu gefährden, verhinderten die Nato-Staaten bei der diesjährigen Sitzung der UNO-Menschenrechtskommission in Genf, daß der Krieg Ankaras gegen die Kurden erwähnt, geschweige denn durch eine Resolution verurteilt wurde. Andreas Zumach, Genf
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